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Im Herzen der Zorn (German Edition)

Im Herzen der Zorn (German Edition)

Titel: Im Herzen der Zorn (German Edition)
Autoren: Elisabeth Miles
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aufhören. Ist Lucy hier? Es tut mir so leid.
    Irgendjemand sprach auf der Bühne ins Mikrofon – ein Erwachsener –, ermahnte die Schüler, ruhig zu bleiben, während die Aufsichtspersonen nach dem Licht sahen. Taschenlampenstrahlen glitten über die Menge und aus den Ecken, wo die Jungs die Dunkelheit prompt zum Grapschen ausnutzten und die Mädchen vorgaben, entsetzt zu sein, ertönte hier und da schrilles Kreischen und Kichern. Für sie war es ein Spiel. Eine unerwartet amüsante Wendung ihres Abends.
    Vielleicht war es ja ein Spiel.
    Skylar war völlig durcheinander. Dieser ganze Lärm. Ich kann nichts sehen. Ich kann nichts hören .
    Sie machte einen Schritt rückwärts, in Richtung der Flügeltür. Aber inzwischen hatte sie die Orientierung verloren. Sie wusste nicht mehr, wohin sie sich bewegte. Überall waren Spiegel und machten es unmöglich, geradeaus zu schauen. Menschen wirbelten vorbei, spöttisch grinsende Reflektionen mit Glupschaugen und Fingern, die auf sie zeigten. Ihre Atmung wurde schneller, Tentakel der Panik schlangen sich um ihre Arme und Beine, umschlossen sie, griffen nach ihrem Herzen.
    Wo bin ich? Warum bin ich hier? Der Takt der Musik klang immer mehr wie ein Rauschen. War der Rhythmus real oder nur in ihrem Kopf? Sie machte mehrere beherzte Schritte vorwärts, lief direkt in einen der Spiegel. Der Aufprall reichte, um sie rückwärtsstolpern zu lassen. Sie verlor den Halt, stürzte hin. Dabei flog ihr die Maske aus dem Gesicht, sauste über den gebohnerten Turnhallenboden. Jetzt war sie entblößt. Schutzlos.
    Die Wirkung der Medikamente hatte inzwischen fast ganz aufgehört, und als sie sich in dem Zerrspiegel erblickte, kam sie sich vor, als hätte man sie mitten in einen Albtraum versetzt. Ihr gestärktes Schönheitswettbewerbskleid – Lucys Kleid – sah grässlich aus und saß schlecht. Ihre Haut war aufgedunsen und farblos – jedenfalls das, was man davon unter dem Kreuz und Quer der Verbände und Nähte sehen konnte. Ihre Haare waren nur noch halb vorhanden.
    Skylar sah aus wie ein Monster.
    Der Strahl einer Taschenlampe glitt auf sie und verweilte dort, wie ein Scheinwerfer. Dann weitere Taschenlampen, die sie alle umkreisten, bis sie von einem ganzen Lichtkreis umgeben war. Ein Schrei, dann noch einer. Menschen, die ihren Namen riefen und tuschelten. Skylar. Skylar. Skylar .
    In einem der anderen Spiegel erblickte Skylar Gabby, die schöne Gabby, ein Traumbild in Rosa und Weiß mit blonden Locken, die gerade ein Mädchen aus der neunten Klasse tröstete, das am Rande einer Panikattacke zu stehen schien. Skylar beobachtete, wie Gabby es beruhigte und ihm übers Haar strich. Nicht mal ein Zerrspiegel ließ Gabby hässlich erscheinen. Nein, sie sah darin aus wie eine Märchenprinzessin mit unverhältnismäßig großen blauen Augen.
    Panik, Scham und Verwirrung erfassten Skylar. Sie versuchte, die Hände vors Gesicht zu halten, sich zu bedecken. Sie rappelte sich auf und drängte durch die Menge, die einen Ring um sie gebildet hatte. Wie sollte sie hier nur rauskommen? Und dann sah sie plötzlich Em in einer weiteren großen verspiegelten Scheibe am Ende der Halle. Nach vorne gebeugt? Im Gespräch mit jemandem? Sie wirkte riesenhaft und langbeinig, hatte den Körper einer Spinne, wie Skylar sie früher immer in den mit Spinnweben bedeckten Ecken ihrer Garage gefunden hatte.
    Und ihr Gesicht, Ems Gesicht – es sah aus wie das einer anderen. Wie Tys. Oder war Ty vielleicht zu Em geworden? So oder so, sie sahen fast gleich aus. Ihre schönen, ausgeprägten Wangenknochen. Ihre hohe Stirn und die tief liegenden braunen Augen. Ihr dunkles Haar. Ihre schmalen Lippen, die sich zu perfekten strahlenden Lächeln öffneten. Es war, als wären sie ein- und dieselbe Person.
    War Meg auch hier? Würde Meg ihr helfen?
    Dann: noch mehr Schreie und plötzlich begriff Skylar, dass die Leute sie anschrien.
    Die Wahnsinnige, das Scheusal, das Monster.
    Scham und Furcht brodelten ihr im Bauch, eine widerliche Mixtur, die in ihren Eingeweiden brannte und ätzte.
    Sie schnappte sich die Maske vom Fußboden und rannte, stolperte auf den Ausgang zu, verirrte sich zwischen Rauch und Spiegeln, suchte nach dem roten Exit-Zeichen, das ihre Rettung sein würde, ein Licht am Ende dieses gespenstischen Tunnels. Sie drängte sich an den anderen Schülern vorbei, die immer panischer wurden. Was war das nur für ein Brandgeruch in der Luft? Nichts lief in geordneten Bahnen, niemand war zuständig. Nur Rufen und
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