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Im Haus des Wurms

Im Haus des Wurms

Titel: Im Haus des Wurms
Autoren: George R. R. Martin
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wie die häßlichen Stimmen angreifender Grauns. Aber er konnte nichts erkennen, und je angestrengter er lauschte, desto undeutlicher wurden die Geräusche. Schritte? Oder war es Groffs Atem? Vielleicht das Blubbern des schwarzen Teiches? Annelyn packte das Heft des Stiletts fester.
    »Groff«, flüsterte er, wurde aber nur mit einer Handbewegung zum Schweigen aufgefordert.
    Aus Erzählungen wußte er, daß Grauns bei völliger Dunkelheit sehen konnten, daß sie sich auf weichen, weißen Pfoten lautlos voranbewegten und mit den sechs langen Gliedern herumirrende Yaga-la-hai würgten.
    Annelyn hörte jetzt ein anderes Geräusch. Zuerst ganz schwach, aber dann immer lauter. Das konnte keine Einbildung sein. Es klang spröde und abgehackt, schwoll an und nahm ab und war durchsetzt von keuchenden und schluchzenden Lauten. Groff schien es auch zu hören.

    Plötzlich stand er lautlos auf. Annelyn und Riess sprangen auf.
    Vor ihnen schwang langsam die Brücke unter dem roten Fenster. Irgend jemand überquerte den Teich.
    Das Geräusch wurde deutlicher, menschlicher. Eine Stimme, eine wirkliche Stimme, von Angst entstellt.
    Dann hörte Annelyn Worte: »… bitte …nicht ins Dunkle…
    Grauns… sie werden… dürfen nicht…« Und dann, klar und laut: »Mein Großvater war ein Sohn des Menschwurms.«
    Vermyllar kam über die Brücke. Ihm folgte mit einem langen Messer in der Hand der Fleischbeschaffer, gedrungen, häßlich, in seiner Kleidung aus Graunhäuten.
    »Ruhe!« sagte der Fleischbeschaffer, und Vermyllar stolperte auf den Steinvorsprung. Er starrte ängstlich auf das schwarze Torloch, das sich vor ihm auftat.
    Plötzlich spürte Annelyn Groffs Hand auf der Brust, und er wurde tiefer in die Nische geschoben. »Zurück«, zischte der Ritter, und diesmal gehorchte Annelyn auf Anhieb. Aber irgend etwas stimmte nicht. Annelyn spürte, daß etwas nicht stimmte.
    Weder Vermyllar noch der Fleischbeschaffer trugen eine Fackel.
    »Steh auf«, sagte der Fleischbeschaffer. »Steh auf und geh weiter. Ich werde dich nicht tragen.«
    Vermyllar richtete sich widerwillig auf und wimmerte.
    »Nein«, sagte er. »Es ist zu dunkel. Ich kann nichts sehen. Nein.«
    Der Fleischbeschaffer stieß ihn mit der Messerspitze an.
    »Wenn du nicht sehen kannst, du Tier, dann fühl.
    Fühl«, sagte er. »Da hinein, und dann nach links.«
    Vermyllar ging schluchzend weiter und ertastete sich mit den Händen den Weg. Annelyn hatte den Eindruck, als blicke ihn sein Freund geradewegs in die Augen, aber dann bog er nach links ab. Der Fleischbeschaffer sta-chelte Vermyllar mit der Messerspitze an, ohne einen Blick in die Nische zu werfen.
    Annelyn war, als hätte er eine geschlagene Stunde im Schatten des Höhleneingangs gestanden, aber es konnten nur wenige Minuten vergangen sein. Vermyllars Proteste und Klagen verloren sich langsam in der Tiefe des Ganges. »Sie haben keine Fackel«, sagte Groff schließlich, und seine sonst so gefaßte Stimme schien zu beben. »Der Kerl hat wohl die Augen eines Grauns.«
    »Kehren wir um?« sagte Riess.
    »Umkehren?« Groffs Silhouette hob sich gegen das rötliche Licht ab, das in den Torweg fiel. »Nein. Auf keinen Fall. Aber wir brauchen eine Fackel, um sehen zu können. Wir müssen ihnen folgen. Noch wissen wir den Weg. Außerdem veranstaltet der Großenkel des Menschwurms genügend Lärm, um uns die Richtung zu weisen.«
    »Warum hat es der Fleischbeschaffer auf Vermyllar abgesehen?« fistelte Annelyn. Er hatte all seinen Witz und Übermut verloren.
    »Darüber kann ich nur Vermutungen anstellen«, antwortete Groff. »Aber wir werden es herausbekommen.« Er gab den Befehl, und die drei machten sich auf den Weg durch die enge Höhle. Sie tasteten die Wand nach Fackelhalterungen ab. Riess spürte lediglich einen Luftschacht auf, aber Annelyns Finger schlössen sich schließlich um eine vertraute Bronzefaust. In ihr steckte eine Fackel.
    Riess zündete sie an, und Annelyn wandte sich an Groff: »Eine Fackelfaust, die Arbeit der Yaga-la-hai, hier, in einem Graungang. Wie erklärst du dir das, Groff?«
    »Das waren nicht immer Graungänge. Kinder des Wurms haben diese Höhlen gegraben, vor Millionen von Jahren. Während des großen Kriegs wurden sie von den Grauns nach oben getrieben, so sagt man jedenfalls. Die eigentlichen Graungänge sehen anders aus. Deren Reich ist weiter unten, das der Yaga-la-hai oben. Beide waren stark und mächtig, sind aber verfallen, so wie alle großen und kleinen Dinge letztendlich nach
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