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Im Haus des Wurms

Im Haus des Wurms

Titel: Im Haus des Wurms
Autoren: George R. R. Martin
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gekommen. Der Fleischbeschaffer muß sich tatsächlich sehr weit hinunter wagen.« Er lächelte.
    »Aber das müssen wir jetzt auch.«
    »Wir?« fragte Vermyllar.
    Groff nickte. »Ich bin nicht abgeneigt, euch zu helfen.
    Annelyns Plan ist gut. Bevor wir den Fleischbeschaffer töten, werden wir seine Geheimnisse lüften.« Mit einer entschlossenen Geste schwang er die Axt. »Kommt, die Treppe hinunter!«
    Pechschwarz und drohend gähnte die Toröffnung.
    Annelyn wurde nervös. Sein kühner Plan, ins Graunreich hinabzusteigen, sollte Riess und Vermyllar lediglich beeindrucken. Er hatte damit gerechnet, von den beiden überstimmt zu werden. Der Fleischbeschaffer wäre vielleicht hier im fensterlosen, aber sicheren Teil der Höhle zu überwältigen gewesen. Annelyn kannte sich hier noch aus. Aber tatsächlich nach unten zu gehen…
    Es war Vermyllar, der protestierte. »Nein«, sagte er.
    »Ich gehe keinen Schritt tiefer.« Er sah Annelyn an.
    »Von mir aus kannst du, Groff oder auch Riess den Fleischbeschaffer töten. Ihr werdet auch ohne mich auskommen. Ich gehe zurück.«
    »Los jetzt, die Treppe runter«, befahl Groff. »Desertiert wird nicht.«
    Vermyllar blieb standhaft. »Mein Großvater ist ein Sohn des Menschwurms«, sagte er. »Ich lasse mich nicht herumkommandieren.« Er wandte sich Annelyn und Riess zu und schlug das Zeichen des Wurms. Dann machte er mit der Fackel in der Hand kehrt und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.
    Groff unternahm keine Anstalten, ihn aufzuhalten.
    »Die Treppe runter«, wiederholte er, als Vermyllar hinter einer Tunnelbiegung verschwunden war. Die beiden Jungen gehorchten.
    Hinunter. Die schrecklichste aller Richtungen.
    Hinunter. Dahin, wo die Grauns leben. Hinunter. Weg vom Licht. Trotzdem gingen sie, und Annelyn dachte daran, daß er Treppen noch nie hatte leiden können. Aber es tröstete ihn, daß Riess, der die Fak-kel trug, vorangehen mußte.
    Am Fuß der Treppe befand sich ein schmaler Absatz mit zwei zugemauerten Durchbrüchen, eine klaffende Öffnung, die in den kalten Luftschacht führte, und eine weitere Treppe. Hinunter. Und wieder eine neue Treppe.
    Hinunter. Danach noch eine Treppe.
    Schließlich waren sie unten angelangt. »Mach die Fackel aus«, sagte Groff. Riess gehorchte.
    Sie standen dicht beieinander vor einer schmalen Metallbrücke, die einen riesigen Kuppelsaal überspannte, der um etliches größer war als die Kammer des Obsidians. Weit über ihnen wölbte sich ein gewaltiges Dach aus Glasscheiben (jede einzelne so groß wie das Fenster vor der Grube des Menschwurms, dachte Annelyn). Die Scheiben saßen in einem Gitterwerk aus schwarzem Metall. Darüber zeichnete sich gespenstisch die Sonne ab - mit ihren Feuermeeren und Wüsten aus Asche.
    Annelyn entdeckte noch andere Brücken – fünf an der Zahl, schmale, freischwebende Stege, die von einer schwarzen Wand zur anderen gespannt waren und über einen Teich führten, durch den zäh blubberndes Wasser strömte. Eine sechste, mittlerweile eingestürzte Brücke hing mit einem verdrehten Seilende in der schwarzen Brühe unter den dreien.
    Da war ein Gestank. Streng, schwer, ekelhaft süß.
    »Wo sind wir?« flüsterte Riess.

    »In der Kammer des Letzten Lichts«, antwortete Groff ungehalten. »So wird sie jedenfalls in den Sagen der bronzenen Ritter genannt. Graunjäger nennen diesen Ort den Graunwall. Dies ist die letzte und tiefste Stelle, zu der die alte Sonne vordringt. Man sagt, daß der Weiße Wurm die Kammer geschaffen hat, um die Grauns von den Höhlen seiner Kinder fernzuhalten.«
    Annelyn trat an das Brückengeländer. »Interessant«, meinte er betont beiläufig. »Gibt es für Grauns keinen anderen Weg, nach oben zu steigen?«
    »Nicht mehr«, antwortete Groff. »Früher ja. Aber die bronzenen Ritter haben diese Zugänge mit Ziegeln und Blut versperrt. So sagt man.« Er deutete mit der Axt zu den Schatten auf der anderen Brückenseite. »Dorthin.«
    Der Steg war schmal, gerade breit genug für eine Person. Annelyn ging zögernd voran und tastete haltsuchend nach dem Geländer. Das kleine, rostzerfressene Metallrohr gab unter dem Druck der Finger nach. Verblüfft blickte er auf die Reste in seiner Hand und warf sie in den träge bewegten Teich.
    »Das kommt von der Feuchtigkeit«, sagte Groff ungerührt. »Die Brücke hat Rostlöcher, wir müssen bei jedem Schritt vorsichtig sein.« Seine Stimme klang ernst und gefaßt.
    Angetrieben von Groffs Worten ging Annelyn weiter.
    Ängstlich
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