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Im Haus des Wurms

Im Haus des Wurms

Titel: Im Haus des Wurms
Autoren: George R. R. Martin
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ihn zu begrüßen.
    »Ich wäre besser nicht gekommen«, sagte Vermyllar.
    Er wirkte sehr nervös, schien sich aber in Gegenwart seiner Freunde ein wenig zu entspannen. »Ich bin der Urenkel eines Menschwurms«, fuhr er fort und schob den Dolch in die Scheide, nachdem er Riess die Fackel gegeben hatte, »und ich sollte weniger auf dich hören, Annelyn. Die Grauns werden uns noch fressen.«
    »Der Fleischbeschaffer wird auch nicht von Grauns gefressen, und er ist allein. Wir aber sind zu dritt«, sagte Annelyn. Er machte sich auf den Weg, dem fensterlosen Teil des Ganges entgegen, wo keine roten Strahlen mehr ins Steingewölbe fielen. Die anderen folgten ihm.
    »Bist du sicher, daß er hierherkommt?« fragte Vermyllar. Sie kamen an einem der quadratischen, dunklen Luftschächte vorbei, und ihre Kleider flatterten und wehten in der warmen Strömung. Vermyllar zeigte in die Öffnung. »Vielleicht klettert er durch einen dieser Schächte nach unten, um zu den Grauns zu gelangen.«
    »Sie sind sehr steil und heiß«, antwortete Annelyn.
    »Ginge er da hinunter, würde er bestimmt abstürzen oder ersticken. Außerdem hat man den Fleischbeschaffer schon oft diesen Tunnel entlanggehen sehen. Das weiß ich von den Fackelträgern.«
    Sie ließen das letzte Fenster hinter sich. Der Tunnel führte jetzt nach unten, das Deckengewölbe war nicht mehr zu erkennen. Vermyllar blieb stehen.
    »Grauns«, sagte er. »Annelyn, da unten sind Grauns.
    Wir sollen umkehren.« Er fuhr mit der Zunge über die Lippen.
    »Ich habe schon einen Graun getötet«, rief ihm Annelyn ins Gedächtnis zurück. »Außerdem ist alles schon genau besprochen. Wir haben eine Fackel und eine Menge Streichhölzer. An der Tunnelwand hängen noch viele alte Fackeln, und die können wir alle anzünden.
    Ganz davon abgesehen, die Grauns wagen sich nie so weit nach oben. In diesem Tunnel ist seit einer Ewigkeit kein Graun mehr gesehen worden.«
    »Jeden Monat verschwinden ein paar Leute«, mahnte Vermyllar. »Champignonfarmer, Graunjäger, Kinder.«
    Annelyn stimmte einen harscheren Ton an.
    »Graunjäger steigen auch viel tiefer hinab. Klar, daß sie hin und wieder gefangen werden. Und was die anderen betrifft, tja, wer weiß? Hast du Angst im Dunkeln?« Er stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf.
    »Nein«, sagte Vermyllar und schloß wieder mit den beiden auf. Mit der Hand umklammerte er den Dolchschaft.
    Annelyn ging an die Wand, streckte den Arm aus und zog eine Fackel aus der bronzenen Halterung. Er entzündete sie an der Fackel, die Riess trug, und reichte sie Vermyllar. »Da«, sagte er, »komm jetzt.«
    So gingen sie die dunkle, abschüssige Höhle entlang; vorbei an ausgefransten oder mit Pilzen überwucherten Wandbehängen; vorbei an einer endlosen Reihe von Fackelhalterungen, die in der Form einer Faust geschmiedet waren (jede zweite Faust war leer und nur in jeder fünfzigsten brannte eine Fackel); vorbei an zahllosen zugemauerten Tunnelmündungen und an solchen, deren Ziegelwände aufgebrochen oder zu Staub zerfallen waren; vorbei an der wannen Zugluft der Ventilationsschächte. Sie marschierten, ohne ein Wort zu sagen. Sie wußten, ihre Stimmen würden weit durch die Höhle hallen, und sie hofften, daß der Staub auf dem Boden den Schall ihrer Schritte dämpfte. Sie hatten längst das letzte Fenster aus den Augen verloren und eine Stunde Fußweg zurückgelegt. Schließlich erreichten sie das Ende des Tunnels. In der Wand vor ihnen klafften zwei Öffnungen, deren eiserne Tore sich schon vor langer Zeit in Rost aufgelöst hatten. Riess leuchtete mit der Fackel in einen dieser Torwege, sah aber nur ein schweres Kabel, das sich in die gähnende Tiefe eines dunklen Schachts hinunterwand. Erschrocken sprang er zurück und ließ dabei fast die Fackel fallen.
    »Vorsicht«, warnte Annelyn.
    »Was ist das?« fragte Riess.
    »Vielleicht eine Falle«, meinte Vermyllar und leuchtete mit seiner Fackel in die zweite Toröffnung. Sie blickten auf eine Steintreppe, die steil nach unten abfiel. »Seht ihr? Hier waren einmal zwei Tore. Wenn ein Feind oder ein Graun das falsche Tor erwischte, stürzte er durch den Schacht in den Tod. Ursprünglich diente der Schacht vielleicht als Luftkanal, später hat man dann das Tor angebracht.«
    Annelyn stellte sich an die Seite von Riess. »Nein«, sagte er und blickte in die vermeintliche Falle. »Da hängt ein Seil, und außerdem ist der Schacht kalt.« Er schüttelte den Kopf. Die Kapuze rutschte ihm in den Nacken und enthüllte
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