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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht
Autoren: Barbara Nadel
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dass das bei so einem langen Flug nur eine Frage der Zeit war. Vermutlich würde man seine kürzlich geschlossene Ehe mit Kaycee zur Gesprächseröffnung nutzen. Er wandte sich seiner Frau zu und beobachtete lächelnd, wie sie versuchte, den Sicherheitsgurt so eng zu stellen, dass er ihren mageren Hüften Halt gab.
    »Du lieber Himmel«, sagte sie mit ihrem starken Südstaatenakzent, wobei in ihrer Stimme ein leiser Selbstvorwurf mitschwang, »wenn ich noch dünner werde, gehöre ich bald ins Reich der Geister!«
    Ihr Ehemann, der erfolgreichste türkischstämmige Hollywoodschauspieler aller Zeiten, lachte. »Wenn wir erst in Istanbul sind, kannst du alles essen, was du willst«, sagte Hikmet Sivas. »Das wirst du sogar machen müssen, denn sonst wird meine Schwester Hale tödlich beleidigt sein.«
    »Dann stimmt es also, was man über euch Türken sagt?«, fragte Kaycee lächelnd.
    »Was denn?«
    »Dass ihr gutes Essen und mollige Frauen mögt.«
    Hikmet Sivas schmunzelte. »Ja, das stimmt«, sagte er. »Wir mögen sämtliche sinnlichen Genüsse …« Im nächsten Moment verfinsterte sich seine Miene.
    Kaycee nahm ein Buch aus ihrem Handgepäck und schlug es etwa in der Mitte auf.
    »Dann kann ich ja vielleicht ein wenig zulegen«, sagte sie, während sie einen Blick in ihr Buch warf.
    »Ja.«
    »Schade nur, dass ich das alles wieder runterhungern muss, bevor wir nach Hause fliegen.«
    »Hmm.«
    Kaycee blickte von ihrer Abhandlung über Theorie und Funktion der Schwarzen Löcher auf und starrte aus dem Flugzeugfenster. Jenseits der Startbahn lag Los Angeles, ihr reiches, privilegiertes Zuhause. Kaycee verzog das Gesicht.
    »Verdammte Scheißstadt«, sagte sie und sah ihren Mann an.
    »Auf nach Istanbul! Ich kann’s kaum erwarten!«
    Dann wandte sie sich wieder ihrer Lektüre zu.
    Istanbul. Hikmet Sivas schauderte bei dem Gedanken daran. Zu Hause. Es war schon ziemlich lange her – zu lange. Die Dinge hatten sich geändert. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da konnte er es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Aber dieses Mal nicht. Dieses Mal war es anders, dieses Mal stand er unter Druck.
    »Ali Bey. Sie sind doch Ali Bey, stimmt’s?«
    Auf die Erwähnung seines nur noch selten verwendeten Künstlernamens drehte sich Sivas um. Die sonnengegerbte Haut der Frau erinnerte an Krokodilleder. Sie verzog ihre leuchtend orangefarbenen Lippen zu einem Lächeln.
    Sivas verbeugte sich huldvoll. »Ja, der bin ich.«
    »Wusste ich’s doch. Ich habe Miriam gleich gesagt, dass Sie es sind«, ereiferte sich die Frau und zeigte auf eine noch ausgedörrtere Frau auf einem der Sitze jenseits des Gangs. »Ich hab Sie gleich wieder erkannt. Ich hab nämlich meinen zweiten Ehemann in einem Ihrer Filme kennen gelernt, Der Mann aus Acapulco. Der Film lief sechs Tage nach Kennedys Ermordung an. Das werde ich niemals vergessen.«
    »Sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Sivas, wandte sich ab und schloss die Augen. Ali Bey – wie lange das schon zurücklag und wie viel es ihn gekostet hatte, diese Rolle zu spielen.
    Da die Frau ihrem Idol keine weiteren Kommentare entlocken konnte, begab sie sich zurück zu ihrem Sitz.
    Sivas/Ali Bey tat so, als schliefe er, bis das Flugzeug schließlich abhob.
     
    »Das ist nur billiger Tand.«
    Neşes Augen füllten sich mit Tränen. »Das kann nicht sein!«
    »Dann nimm du sie mal in die Hand und sag mir, was du davon hältst.« Turgut reichte seiner Mutter die Krone.
    Während sie das glitzernde Ding von ihrem Sohn entgegennahm, richtete Neşe sich mit einem lauten Seufzer auf. Allerdings ließ sich nicht sagen, ob ihr die Bewegung Schmerzen bereitete oder ob sie aus Enttäuschung über die Krone stöhnte.
    »Ziemlich leicht, was?«, meinte ihr Sohn und schüttelte ungläubig den Kopf. »Gold und Edelsteine sind kalt und schwer. Das Ding hier ist aber weder das eine noch das andere.«
    »Es sieht aus wie eine dieser Kronen, die die jungen Frauen bei ihrer Hochzeit tragen«, sagte Neşe in Anspielung auf die nie versiegende Begeisterung türkischer Bräute für diese Art von Kopfschmuck.
    »Es sieht nicht nur so aus – das ist so eine Krone, Mama.«
    »Ja, aber wie ist das Ding hierher gelangt …«
    »Ich weiß es nicht!«, fuhr der junge Mann sie an.
    »Turgut!«
    Er nahm seine Schaufel wieder auf und stieß sie in den Schlick zu seinen Füßen. »Wirf sie einfach auf den Haufen«, sagte er schließlich und deutete mit dem Kopf in Richtung der Schlammpyramide, die sie schon ausgehoben
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