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Im falschen Film 1

Im falschen Film 1

Titel: Im falschen Film 1
Autoren: Vanessa Mansini
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Unfall?“
    „Nicht unbedingt. Das können auch länger zurückliegende Ereignisse gewesen sein. Ich hatte mal einen Patienten, der beim Anblick eines vergleichsweise harmlosen Feuers in einem Schuppen seine gesamten Erinnerungen verloren hat – weil er als Kind jemanden hat verbrennen sehen. Es kann auch einfach eine Summe von Umständen sein, an die Sie sich einfach nicht erinnern möchten – Menschen im Krieg passiert dies manchmal.“
    „Sie meinen also, ich bin traumatisiert?“
    „Hat Ihr Mann irgendetwas Derartiges erwähnt?“
    Das einzige Trauma, von dem mein Mann bisher geredet hatte, war, dass er unser Auto nicht finden konnte. Ansonsten klang mein Leben so unfassbar langweilig, dass ich mir das mit dem Trauma kaum vorstellen konnte. Ich schüttelte den Kopf. Professor Bosch zuckte mit den Schultern. Sagte sonst nichts.
    „Und es gibt keine Chance, dass die Erinnerung zurückkommt?“
    „Doch, doch. Theoretisch schon. Nur ist bei Ihnen die Trennung zwischen fehlender persönlicher Erinnerung und intakter sonstiger Erinnerung so extrem, dass ich … So einen Fall hatte ich noch nicht. Von daher traue ich mir keine Prognosen zu.“
    Er wirkte nach wie vor fast fröhlich, was mir allmählich auf die Nerven ging. Er sah mir das an.
    „Frau Kwiatkowski, ich weiß, solch ein Trost ist immer schwach. Aber es hätte Sie weit schlimmer treffen können. Die meisten Amnesiepatienten sind so gut wie lebensunfähig. Verstehen nicht einmal Emotionen! Sie erkennen keine Gerüche, kennen kein Mitgefühl, verstehen keinen Humor oder Ironie.“
    Nee, mit Ironie hatte ich kein Problem. Ich empfand es zum Beispiel als sehr ironisch, dass mir die ganze Zeit alle erzählten, ich hätte Glück gehabt. Glück sieht für mich anders aus.
    „Manche verlieren auch die Fähigkeit, sich etwas Neues zu merken“, fuhr der Professor fort. „Aber bei Ihnen ist dies alles intakt. Ihnen fehlen tatsächlich nur die Erinnerungen an das, was sie bisher erlebt haben.“
    Wenn es sonst nichts war.
    „Daher können wir Ihnen im Moment auch nicht konkret helfen. … Sie sind so etwas wie ein kleines medizinisches Rätsel. Wir wüssten tatsächlich selbst gerne, wieso Sie problemlos das richtige soziale Verhalten an den Tag legen, ohne dass dies aus Ihren persönlichen Erfahrungen gespeist wird. Wir würden Sie deswegen gerne intensiver studieren.“
    Ich wollte aber nicht studiert werden. Ich wollte mich erinnern. Jetzt noch mehr als je zuvor. Denn dass da etwas in meiner Vergangenheit liegen könnte, das mein Gehirn so tief verstört hatte, dass es „dicht machte“, fand ich schwer zu ertragen. Frau Pohl im Bett neben mir hatte sich inzwischen mehrfach entschuldigt, dass sie mir nicht geglaubt hatte. Ich durfte mittlerweile sogar ihre Leopardenschlappen tragen. Als sie von den Hinweisen auf mögliche Traumata in meinem Leben erfuhr, war sie nun der Meinung: „Ich kann mir das zwar immer noch nicht so richtig vorstellen, aber … wenn Ihr Leben so furchtbar war, dann seien Sie doch froh, dass Sie das alles vergessen haben!“
    Das war ich nicht. Das wollte ich nicht sein. Ich konnte schwer damit leben. Ich wollte alles wissen. Offensichtlich war ich ein ausgesprochen neugieriger Mensch.
    Christian schwor, nichts von traumatischen Ereignissen in meinem Leben zu wissen. Die letzte große Aufregung meinerseits wäre gewesen, dass ich das Erscheinen der vierten Staffel von „Game of Thrones“ nicht hatte erwarten können und ihm damit wahnsinnig auf die Nerven gegangen war. Aber das konnte man ja wohl kaum als Trauma bezeichnen.
    Ich war froh, dass weitere Untersuchungen und Therapieansätze durch die anstehenden Feiertage erst einmal aufgeschoben wurden. Denn ich hatte sowieso meine eigene Theorie: Ich musste zurück in mein altes Leben. Vielleicht würde ich dort meine Erinnerung wiederfinden. Oder zumindest eins der zahlreichen Traumata, die der Professor mir nachgesagt hatte. Ich wollte nach Hause! Auch wenn ich keine Vorstellung hatte, was „zu Hause“ eigentlich war.

6
    Natürlich hatte ich während der Tage im Krankenhaus auch versucht, noch einmal Kontakt zu Tom aufzunehmen. Aber jedes Mal, wenn ich wie zufällig auf der Station für Privatversicherte herumschlich, war er dort nicht zu finden. Oder vielleicht war er im Zimmer seiner Frau, auf die angesprochen das Krankenhauspersonal in einen kollektiven Seufzer verfiel? Niemals hätte ich mich getraut, auch nur an ihre Tür zu klopfen. Da man mich irgendwann auf der
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