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Im Dienste Der Koenigin

Titel: Im Dienste Der Koenigin
Autoren: Karla Weigand
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nicht mehr willkommen war! Im Gegenteil, der »König der Bettler« hatte alles versucht, um sie von ihrer Entscheidung abzubringen. Als er sah, dass seine Bemühungen aussichtslos blieben, war Saint-Hector sehr traurig geworden.
    Er hatte sich im Laufe der Jahre an »seine« bucklige Céleste gewöhnt und mochte ihre sporadischen Besuche nicht missen. Sooft sie ihn aufsuchte, ließ er ein kleines Fest ausrichten, woran alle Huren, Bettler und sonstigen Galgenvögel teilnahmen.
    Die »bärtige Arlette« war vor einiger Zeit mit weit über siebzig Jahren an einem Schlaganfall gestorben; wie es schien, würde sich der Bettlerkönig von nun an eine Weile ganz ohne »Königin« behelfen müssen. Saint-Hector war nämlich nach wie vor nicht bereit, sich einfach mit einer der zahlreichen Liebesdienerinnen zu arrangieren. Er pflegte seine Bettgenossinnen in aller Regel sehr sorgfältig auszuwählen …
    Den wahren Grund, weshalb Céleste die Gaunerhochburg in Zukunft zu meiden gedachte, verriet sie ihm allerdings nicht - sie zog es vor, ihren angegriffenen Gesundheitszustand vorzuschieben. In Wirklichkeit hing ihr Widerwille gegen den »Hof der Wunder« mit seinem Herrscher zusammen, ohne dass dieser freilich etwas davon ahnte.

KAPITEL 98
    WIE SIE INZWISCHEN herausgefunden hatte, war Saint-Hector einst als junger Mann von niederem Adel, der wegen Totschlags an einem Abt vor der königlichen Justiz fliehen musste, bei den Banditen von Paris untergetaucht. Sie hatten ihm bereitwillig Unterschlupf gewährt.
    Es hatte nicht lange gedauert und die wüsten Kerle und ihre verkommenen Weiber hatten herausgefunden, wie schlau und gerissen der »Marquis«, wie sie ihn nannten, war. Da sie sowieso einen neuen Anführer brauchten - der alte war von seiner Geliebten, einer Hure, aus Eifersucht vergiftet worden -, wählten sie ihn (der damals noch zwei gesunde Arme sein Eigen nannte), zu ihrem »König«.
    Nach etwa drei Jahren war der Herr der Gesetzlosen von Paris samt einigen Getreuen in eine brutale Auseinandersetzung mit den Musketieren des damaligen Kardinals Richelieu geraten. Da die Gauner, die ausgerechnet eine der Villen des Ersten Ministers ausrauben wollten, hoffnungslos in der Minderzahl waren, wurde der »Marquis« von den Soldaten Richelieus erbarmungslos niedergeschlagen.
    Wie die Strolche nachträglich erfuhren, war Verrat im Spiel. In diesem Gefecht hatte Saint-Hector seinen rechten Arm eingebüßt. Einigen seiner Getreuen gelang es, ihn zu befreien und zum »Hof der Wunder« zu schleppen, der damals noch längst nicht so gut befestigt war.
    Dort erwies sich, dass auch die Verletzungen seines linken Arms so schlimm waren, dass dieser, um Wundbrand zu verhindern, amputiert werden musste.
    So kam es, dass die Bettler und Gauner seitdem einen »König« ohne Arme und Hände hatten. Zu seinem Glück
hatte dieser sich bereits eine schlagkräftige Hausmacht verschafft. Es blieb aber dennoch nicht aus, dass Saint-Hector, eigentlich Monsieur Daniel Hector de Saint-Brissac, seinen Machtanspruch fortan mit größter Brutalität durchsetzen musste.
    Im Laufe der Jahre hatten wohl die meisten Ganoven begriffen, wer Herr im »Cour des Miracles« war. Aber hin und wieder war es notwendig, vor allem junge Männer, die Saint-Hectors Platz einzunehmen hofften, in ihre Schranken zu weisen.
    Und das geschah am besten mittels grausamer Bestrafungen - vollzogen in Anwesenheit aller Übrigen -, von denen Céleste nicht im Traum gedacht hätte, dass ihr sonst so sanfter Liebhaber solche zu verhängen imstande war.
    Zufällig wurde sie eines Tages Zeugin, als man eine derartige Exekution an einem der armen Teufel vornahm.
    Bis dahin hatte Céleste in grenzenloser Naivität geglaubt, sich am »Hof der Wunder« in einer besseren Gesellschaft zu befinden als außerhalb seiner Mauern. Wurde hier nicht jede Beute brüderlich geteilt? Wurden Kranke und Verletzte nicht kostenlos gepflegt und versorgt? Waren vor dem Gesetz der Gesetzlosen nicht alle gleich? Durfte nicht jeder völlig frei seine Meinung äußern zu Staat, Kirche und Religion?
    Nun aber erkannte sie, dass in dieser »Scheinmonarchie« anscheinend die gleichen brutalen Spielregeln wie im »wirklichen« Leben galten.
    Der dreiste Möchtegern-Usurpator, der es gewagt hatte, sich gegen Saint-Hector aufzulehnen, war in Anwesenheit sämtlicher Bewohner des »Hofes der Wunder« Foltern unterworfen worden, die einem mittelalterlichen Handbuch für Hexenprozesse entstammen mussten.
    Als ein
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