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Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld
Autoren: Sabine Kornbichler
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dass er das nicht war.
    Ich spürte meinen alten Groll hochsteigen und schluckte entschlossen gegen ihn an. Annette war eine der wenigen gewesen, die während der schwierigen Lebensphase, die hinter mir lag, zumindest versucht hatten, mich zu verstehen, obwohl es ihr häufig nicht gelungen war und auch sie Salz in meine Wunden gestreut hatte. Aber ich wollte sie nicht verprellen, deshalb gab ich mir Mühe, eine gewisse Leichtigkeit an den Tag zu legen. » Also «, begann ich, » dann verrate ich dir, was ich mir wünsche. Ich wünsche mir, mit Gregor steinalt zu werden. « Dabei zwinkerte ich ihm beruhigend zu. » Ich wünsche mir, dass es uns vergönnt ist, Jana ganz viel Lebensfreude mit auf ihren Weg zu geben und dass wir vier heute einen wunderschönen, entspannten Abend miteinander verbringen. Wo bleibt eigentlich Joost? «
    » Er ist im Institut aufgehalten worden, müsste aber jeden Moment kommen «, antwortete sie. » Ich schlage vor, wir trinken schon mal etwas. «
    Nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben hatten, schob Annette mir ein Geschenkpaket über den Tisch: rosa Papier mit roter Schleife. Vom Format her war es unzweifelhaft ein Buch. Ich befreite es aus seiner Verpackung und las laut den Titel: » Die schönsten Kinderlieder. «
    » Du hast neulich gesagt, du könntest dich an so gut wie keines mehr erinnern. Da dachte ich … « Plötzlich verstummte sie, unsicher, ob sie das Richtige für mich ausgesucht hatte. » Jana ist ja jetzt in dem Alter, in dem sie … «
    » Danke «, unterbrach ich Annette. Den Anflug von Unmut verscheuchte ich, so schnell wie er gekommen war. Zwar hatte nicht Jana Geburtstag, sondern ich, aber ich begriff wieder einmal, dass ich seit der Geburt meiner Tochter in der Haupts a che als Mutter wahrgenommen wurde. Dass ich trotzdem eine Frau mit ganz eigenen Interessen geblieben war, musste ich zu dieser Stunde nicht zum Thema machen. Annette hatte sich Gedanken gemacht, und das war die Hauptsache. » Jana wird sich freuen, endlich mal etwas anderes als Lalelu von mir zu hören. «
    Gregor strich zärtlich über meine Hand und vertiefte sich in die Speisekarte.
    » Was hat Gregor dir geschenkt? «, fragte sie.
    Ich zeigte auf den kleinen Anker, der um meinen Hals hing. » Ein Geschenk mit Symbolcharakter. «
    » Ein Symbol dafür, dass er in deinem Hafen vor Anker gega n gen ist? Du bist zu beneiden. « Sie klang eher traurig als neidisch.
    Ihr Mann Joost war bekannt dafür, dass er kaum etwas a n brennen ließ. Und wer sie kannte, fragte sich unweigerlich, warum sie sich das von ihm bieten ließ. Als neununddreißig jä h rige Gynäkologin mit eigener Praxis und ohne Kinder, auf die sie Rücksicht nehmen musste, hatte sie alle Vorausset zungen, ihr Leben problemlos auch ohne ihn zu gestalten. Hinzu kam, dass ihre sehr feminine Natürlichkeit das Interesse vieler Männer weckte.
    » Manche Pötte brauchen einfach ein bisschen länger, um in ihren Heimathafen zu finden «, sagte Gregor. Es war weniger der Versuch, für seinen Freund in die Bresche zu springen, als die Hoffnung, Annettes Traurigkeit ein wenig zu mildern.
    Sie atmete tief ein, als könne sie damit eine Kette sprengen, die ihr die Luft zum Atmen nahm. » Joost kann die Koordinaten seines Heimathafens sehr genau bestimmen. Er nutzt ihn schließlich als Basis, um von dort aus immer wieder auszula u fen. «
    » Und wenn du vorübergehend mal die Hafeneinfahrt verbarr i kadierst? Manche Menschen wissen erst, was ihnen wichtig ist, wenn sie es verloren glauben. «
    Ich sah Gregor von der Seite an und bewunderte ihn wieder einmal für seine Geduld mit Annette. Wir hatten ähnliche Gespräche schon unzählige Male mit ihr geführt.
    » Das Risiko einer solchen Barrikade ist mir offen gestanden zu groß «, entgegnete sie. » Schließlich lässt es sich auch in anderen Häfen bequem anlegen. «
    Für Sekunden trafen sich unsere Blicke. Ihr war anzusehen, dass sie weit mehr als nur ein Risiko fürchtete. Sie wusste, dass Joost nicht zurückkehren würde, wenn sie ihn einmal gehen ließe. Und dieses Wissen tat ihr weh. Wie sehr es darüber hinaus ihre Selbstachtung verletzte, ließ sich nur erahnen.
    » Joost ist wie der Erfolg, der ihn umweht: Die Mühe, ihn zu bekommen, ist nichts im Vergleich zu der Anstrengung, ihn zu behalten. « Für einen Moment wirkte sie unendlich müde. Dann riss sie sich gewaltsam von diesen Gedanken los und versuchte, ihren Worten die Schärfe zu nehmen. » Wenn er nicht ein so faszinierender
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