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Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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Erfahrung, die er im Laufe seines jahrtausendelangen Lebens gesammelt hatte. Warum hatte Argo diesen Vorteil nicht genutzt, um sich vor Yadia zu schützen?
    Auf diese Frage gab es nur zwei mögliche Antworten: Entweder war der alte Wächter noch geschwächter, als seine Feinde angenommen hatten, oder der Varulf-Kopfgeldjäger war geschickter und mächtiger, als alle dachten.
    Ein Plätschern direkt unter ihr, gefolgt von einem erstickten Lachen, riss Jana aus ihren Gedanken. Sie stand auf und beugte sich über die Brüstung, um nachzusehen. Als sie zwei Jugendliche entdeckte, die eng aneinandergeschmiegt an der Anlegestelle des Palazzo saßen, wollte sie sich instinktiv wieder zurückziehen. Aber da die beiden nur Augen füreinander zu haben schienen, um auf sie zu achten, überlegte sie es sich anders. Es war verführerisch, ein menschliches Pärchen zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Alex und sie waren schon lange nicht mehr so durch die Straßen gestreift, ziellos und einfach nur glücklich darüber, zusammen zu sein. Vielleicht wollte sie sich in Erinnerung rufen, wie sich das anfühlte.
    Die beiden hatten die Köpfe zusammengesteckt, tuschelten und küssten sich leidenschaftlich. Offenbar waren sie sich der unglaublichen Schönheit um sie herum nicht bewusst; wahrscheinlich hätte es ihnen auch nichts ausgemacht, auf einer Schutthalde oder in einem Büro zu sein, solange sie sich nur berühren konnten.
    Missmutig stieß Jana sich von der Brüstung ab und ging ins Zimmer, zum Frisiertisch, auf dem ihr Laptop aufgeklappt lag. Sie drückte irgendeine Taste und starrte auf den Bildschirm, der jetzt aufleuchtete. In dem geöffneten Videotelefonieprogramm war Alex’ Name in der Kontaktliste grau unterlegt, was bedeutete, dass er immer noch nicht online war.
    Mit gerunzelter Stirn kehrte Jana auf den Balkon zurück und ließ sich in ihren Korbsessel fallen. Ihr Blick schweifte kurz über die Fassaden der Paläste am anderen Ufer. Sie waren teils gotisch, teils aus der Renaissance, aber alle hatten dieselbe Wirkung, wehrhaft und zugleich irgendwie zerbrechlich.
    Plötzlich fragte sie sich, was sie eigentlich hier machte, in dieser unwirklichen, in der Vergangenheit verwurzelten Stadt. Jahrelang hatte sie davon geträumt, nach Venedig zu fahren, aber das war gewesen, bevor ihre Welt zusammengebrochen war; als Venedig noch ein sicherer Unterschlupf für die Medu gewesen war, wo ihre Magie kaum auffiel und besser als irgendwo sonst überleben konnte. Damals hätte dieser Anblick sie stolz gemacht. Denn hinter der malerischen Kulisse von Kanälen und Brücken hätte sie die geheime Macht der Agmar-Zauber wahrgenommen, die unberechenbare Gegenwart der Varulf, die kaum hörbaren Gesänge, mit denen die Pindar sich vor ihren Feinden schützten.
    Doch das war jetzt vorbei. Durch Alex’ Entscheidung, die Magie nicht an die heilige Höhle zurückzugeben, sondern frei zugänglich zu machen, waren die Medu in Venedig nichts Besonderes mehr. Jetzt brauchten sie sich nicht mehr zu verstecken, ihre Magie war so schwach, dass sie nirgends mehr bemerkt wurde.
    Plötzlich weckte ein merkwürdiger Lichteffekt im Wasser ihre Aufmerksamkeit und lenkte sie von diesen traurigen Grübeleien ab. Etwas ging im Kanal vor sich, auch wenn sie nicht gleich verstand, was genau. Am gegenüberliegenden Ufer war der Wasserpegel gesunken und auf ihrer eigenen Seite gestiegen. Es sah aus, als wäre der Boden des Kanals plötzlich gekippt und drückte nun das Wasser an das Ufer, das unter ihrem Fenster lag.
    Von der Anlegestelle erklang begeistertes Händeklatschen und lautes Gelächter und Jana begriff, dass die beiden Jugendlichen dieses kleine Wunder ausgelöst hatten.
    Solche Späße beobachtete Jana bei den Menschen nicht zum ersten Mal, denn mit ein bisschen Übung und Konzentration konnten sie jetzt die Magie ihrer Gefühle auf die Materie übertragen, bei manchen war diese Fähigkeit sogar sehr ausgeprägt. Genau das war gerade passiert. Die Verliebten hatten sich geküsst und ihr Kuss hatte das Kanalwasser angezogen, als wäre es magnetisch.
    Jana beobachtete sie verdrossen. In solchen Momenten, wenn deutlich wurde, was Alex durch die Verbreitung der Macht der heiligen Höhle in der Welt bewirkt hatte, wurde ihr immer ganz schlecht. Sie hatte sich noch nicht daran gewöhnt, die Magie mit den Menschen zu teilen, und wahrscheinlich würde sie sich auch nie daran gewöhnen, wie wild und völlig naiv diese mit den alten Mächten
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