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Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi

Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi

Titel: Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
Autoren: Jesper Bengtsson
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abgelöst. Die Räume schienen seit der britischen Kolonialzeit nicht mehr renoviert worden zu sein. »Bitte kommen Sie«, sagte U Thein Oo. Ich stand auf, eine Tür wurde geöffnet, und plötzlich stand ich einer der berühmtesten und meistbewunderten Frauen der Welt von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
    Viele Journalisten, die mit Aung San Suu Kyi zusammentreffen, beschreiben ihr Äußeres. Ich hatte das eigentlich nicht vor, aber es ist unmöglich, ihre Erscheinung zu ignorieren. Als ich sie traf, war sie 65 Jahre alt, hatte 15 der vergangenen 21 Jahre unter Hausarrest gestanden und war enormen Belastungen ausgesetzt gewesen. Aber dennoch wirkte sie wie 45 und schien über eine ungeheure Energie zu verfügen. Auch die Hunderte, womöglich Tausende von Burmesen, die nach der Freilassung im November 2010 ihrer Ansprache lauschten, waren derselben Ansicht. »Sie hat mehr durchgemacht als die meisten in ihrem ganzen Leben, aber dennoch sieht sie aus, als käme sie gerade aus einem zweiwöchigen Urlaub«, sagte ein ausländischer Diplomat, der die Geschehnisse vor Ort beobachtet hatte.
    Wir setzten uns auf ein Sofa in ihrem Arbeitszimmer. Ihre Haltung war gleichermaßen kerzengerade wie entspannt, eine Folge zahlreicher mit Meditation verbrachter Stunden und Tage. Ich fragte sie nach ihrem Befinden und ihrer augenscheinlich guten Laune.
    »Das ist nicht weiter verwunderlich«, erwiderte sie mit einem ironischen Ausdruck in den Augen. »Das Militär hat mir sieben Jahre Ruhe verordnet, und jetzt bin ich voller Energie, um meine Aufgaben zu erfüllen.«
    Im Hinblick auf eine Zeit, die die meisten Menschen als vollkommen verschwendet bezeichnet hätten, war dies, milde ausgedrückt, eine interessante Haltung. Doch sie spiegelt ihre Art zu denken wider. All diese Jahre der Isolation hatte sie überstanden, indem sie die Situation akzeptiert und sich eher auf die positiven als die offensichtlich negativen Dinge konzentriert hatte.
    »Ich habe mich immer frei gefühlt«, sagte sie. Ich war beeindruckt, wie konzentriert sie wirkte – so als wäre das Interview das Einzige, was in diesem Augenblick zählte. »Ich konnte immer sagen und denken, was ich wollte. Wenn meine Anwälte zu Besuch kamen, konnte ich mit ihnen über alles Mögliche reden.«
    Sie bemerkte meinen skeptischen Gesichtsausdruck und fuhr daher fort. »Wie ich es sehe, gibt es zwei Stufen der Freiheit. Die erste Stufe beinhaltet die eigene Denkweise. Wenn man sich frei fühlt, so ist man frei. Wenn man seine Gedanken und Gefühle von anderen kontrollieren lässt, so führt das nur dazu, dass sie Macht über einen gewinnen. Die andere Stufe bezieht sich auf die Umgebung. Ist die Gesellschaft, in der man lebt, frei? In meinem Fall lautet die Antwort definitiv Nein. Burma ist für die dort lebenden Menschen kein freies Land.«
    Dieselbe Aussage über innere Freiheit hatte ich schon von anderen politischen Gefangenen in Burma gehört. Um einen längeren Zeitraum der Isolation mental zu bewältigen, muss man sich eine Sphäre erschaffen, die die Gefängniswärter nicht durchdringen können, einen Raum, über den man selbst die Kontrolle behält. Sobald man sich als Opfer fühlt, hat man verloren.
    Aus ebendiesen Gründen hatte Suu Kyi während ihrer Jahre in der Isolation immer eine strikte Disziplin gewahrt. Sie stand um fünf Uhr auf, meditierte, las Bücher und ging im Garten spazieren. Jeden Tag um dieselbe Zeit. Nach Beendigung eines früheren Hausarrestes hatte sie einmal eingehende Beschreibungen ihrer exakt eingeteilten Tage abgegeben. Ich fragte, ob sie während ihrer letzten sieben Jahre auf dieselbe Art gelebt hatte.
    »Es macht mich stärker und verschafft mir größere Ruhe, wenn ich diszipliniert lebe«, sagte sie. »Und bei einem so lange andauernden Hausarrest sind beide Faktoren wichtig. Während der letzten Periode bin ich jedoch ein wenig von meinem Schema abgewichen. Ich hatte Gesellschaft von zwei Frauen, die für mich gearbeitet haben. Für sie war es allerdings kaum zu ertragen, meiner strikten Disziplin folgen zu müssen.«
    Ich traf Aung San Suu Kyi zu einer Zeit, als Revolutionen und Volksaufstände die politische Geographie im Mittleren Osten und Nordafrika umzustoßen drohten. Aus Angst vor einer Ausweitung des Aufruhrs tat das Regime in Burma alles, um die Informationen zu begrenzen. Burmas Zeitungen, Funk- und Fernsehmedien haben im Jahr 2012 größere Freiheiten erlangt, doch lange Zeit unterlagen die Medien einer so harten Zensur,
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