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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
Autoren: Lucy Christopher
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solche Angst gehabt, Gemma«, flüsterte sie. »… wir haben gedacht, dass wir dich nie … dass du nie …«
    Wieder liefen ihr Tränen übers Gesicht und ruinierten ihr Make-up. Früher hätte sie das entsetzlich gefunden. Ich sah zu, wie sich schwarze Spuren auf ihren Wangen bildeten. Sie beugte sich vor und nahm meine Hand. Ich ließ es zu. Ihre Finger waren kalt und dünn, die Nägel lang. Sie befühlte den Ring, den du mir geschenkt hattest. Erstarrt schaute ich zu, wie sie ihn an meinem Finger drehte und die Farben funkeln sah.
    »Hattest du den früher auch schon?«, fragte sie.
    Ich nickte. »Hab ich in der Fußgängerzone gekauft«, log ich. »Modeschmuck.«
    »Ich kann mich nicht dran erinnern.«
    Stille hing zwischen uns. Mum biss sich auf die Lippe. Schließlich lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück, legte die Hände in den Schoß und begann mit ihren Fingern zu spielen. Ich steckte meine Hand unter die Decke. Mit der andern zog ich mir den Ring vom Finger. Mum schaute mich lange an und runzelte besorgt die Stirn.
    »Die Krankenschwester behauptet, du hättest nach ihm gefragt«, meinte sie.
    »Ich wollte wissen …«
    »Ich weiß schon, das ist ja verständlich.« Sie beugte sich vor und streichelte mein Gesicht. »Aber du musst dir wegen ihm keine Gedanken mehr machen, Liebling. Es ist vorbei, du kannst ihn jetzt vergessen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie haben ihn, Gemma«, flüsterte sie. »Er hat sich im Krankenhaus gestellt. Die Polizei wird bald eine Aussage von dir wollen.«
    »Aber wenn ich nicht will …?«
    »Du musst. Es ist für alle das Beste.« Sie zupfte an meiner Decke herum. »Wenn du ausgesagt hast, können die Behörden Anklage erheben. Und dann sind wir einen Schritt weiter auf dem Weg, diese Bestie einzusperren. Und das willst du doch, oder?« In ihrer Stimme lag ein Zögern.
    Ich schüttelte den Kopf. »Er ist keine Bestie«, sagte ich leise.
    Mums Hände auf der Decke erstarrten und sie blickte mich scharf an. »Dieser Mann ist durch und durch böse«, zischte sie. »Wieso hätte er dich sonst entführt?«
    »Ich weiß nicht«, flüsterte ich. »Aber er ist nicht … jedenfalls nicht so.« Ich fand nicht die richtigen Worte.
    Mum wurde blass, während sie mich mit zusammengekniffenen Lippen musterte. »Was hat er nur mit dir gemacht?«, fragte sie. »Was hat er getan, dass du so über ihn denkst?«
     
     
    Am nächsten Tag kamen zwei Polizeibeamte: ein dünner Mann und eine ziemlich junge Frau. Beide hielten ihre Polizeimützen in der Hand. Es waren Baseballcaps und dazu trugen sie kurzärmlige Hemden, darum wirkten sie nicht so steif wie englische Polizisten. Meine Eltern standen weiter hinten im Raum. Auch ein Arzt war da. Alle betrachteten mich, versuchten mich einzuschätzen. Ich kam mir vor wie in einem Theaterstück, in dem die andern darauf warten, dass ich meinen Text sage. Der dünne Polizist zog ein Notizbuch heraus und beugte sich so dicht zu mir, dass ich den Pickel auf seinem Kinn erkennen konnte.
    »Uns ist klar, dass das hier schwer für Sie ist, Miss Toombs«, begann er. Er hatte eine näselnde, hohe Stimme und ich konnte ihn von Anfang an nicht leiden. »Leute, die länger in Gefangenschaft waren, durchlaufen oft eine Phase des Schweigens und der Verdrängung. Ihre Eltern sagen, Sie haben bisher nicht viel geredet über das, was Sie erlitten haben. Ich möchte Sie nicht bedrängen, aber …«
    Ich blieb still. Er unterbrach sich und warf Mum einen Blick zu. Mit einem Nicken forderte sie ihn auf weiterzureden.
    »Es ist nur so, Miss Toombs, Gemma …«, fuhr er fort. »Wir haben da einen Mann in Untersuchungshaft sitzen. Aus gutem Grund gehen wir davon aus, dass er Ihr Entführer ist. Wir brauchen aber eine Aussage, um diese Annahme zu bestätigen.«
    »Wer ist es?«, sagte ich und begann den Kopf zu schütteln.
    Der dünne Mann blickte in seine Notizen. »Der Beschuldigte heißt Tyler MacFarlane. Er ist 1,84 Meter groß, hat blonde Haare, blaue Augen und eine kleine Narbe seitlich …«
    Mir drehte es den Magen um. Und zwar buchstäblich. Ich schnappte mir die Bettpfanne und erbrach mich.
     
     
    Die Polizei machte weiter Druck. Jeden Tag kamen Beamte und stellten mir Fragen, die sie jedes Mal ein bisschen anders formulierten.
    »Erzählen Sie uns von dem Mann, dem Sie auf dem Flughafen begegnet sind.«
    »Hat er Sie gegen Ihren Willen mitgenommen?«
    »Hat er Gewalt angewendet?«
    »Drogen?«
    Eine Weile lang hielt ich durch, aber am Ende musste ich
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