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Ich wollte Liebe und lernte hassen

Titel: Ich wollte Liebe und lernte hassen
Autoren: Fritz Mertens
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meinen Eltern davon auch nichts, ich war schon zufrieden, daß sie mich nicht mehr anspuckten, und so versuchte ich ihnen nur aus dem Weg zu gehen, damit ich nicht mehr in ihre Schußlinie kam, das genügte mir voll und ganz, und so beschäftigte ich mich immer alleine, da ich ja mit keinem sonst sprechen konnte, weil mir immer der Rollstuhl im Weg war.
    Die Wochen im Rollstuhl vergingen schnell, und ich gewöhnte mich so an den Stuhl, daß ich gar nicht mehr an das Laufen dachte, und da ich mich noch ab und zu mit meinen Schulbüchern befaßte, verblödete ich auch nicht ganz und war einigermaßen zufrieden mit meinem jetzigen Leben. Nur ab und zu dachte ich noch daran, mal wieder laufen zu können, aber die Gedanken sind schnell wieder verflogen. Pappa und Mutti stritten immer noch miteinander, und mir kam es vor, als wenn Pappa jetzt in letzter Zeit mehr Alkohol trank, als jemals zuvor, wo ich es mitbekommen habe. Aber darüber machte ich mir nicht mehr viele Sorgen, denn ich hatte mich an die Streitereien gewöhnt, und da meine Mutter keinen Selbstmordversuch machte, war für mich das selbstverständlich nach einer Weile, denn meine Geschwister zankten ja auch oft miteinander, und es sind ja nicht nur Kinder die zanken, vielleicht war das ja auch bei Erwachsenen normal. Also Sorgen waren es keine mehr für mich.
    Heute stand wieder der Arztbesuch in der Stadt bevor, und da ich immer meine Beingymnastik gemacht habe und mein Bein immer genug massiert habe und da ich es jetzt genug anwinkeln konnte, ohne daß es weh tat, mußte ich ja heute wieder laufen dürfen. Bei dem Gedanken wurde ich gleich nervös, und mein Herz schlug schneller.
    Pappa hatte freigenommen von seiner Arbeit, damit er mich in die Stadt fahren konnte, was mich sehr freute, denn wenn ich mit Pappa in die Stadt fuhr, bekam ich immer ein Eis von der Eisdiele, und wir saßen dann im Auto und schlotzten gemütlich unser Eis. Pappa verfrachtete mich ins Auto und legte den Rollstuhl zusammen, verstaute ihn im Kofferraum und schwang sich gleich darauf hinters Lenkrad. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloß, schaute mich an und fragte: »Na, mein Sohn, bist du nervös? Vielleicht darfst du heute schon wieder richtig laufen. Wenn du wieder laufen kannst, dann fahren wir nach Basel in den Zoo und bleiben dort einen ganzen Tag.« »Oh fein«, entgegnete ich und erinnerte mich, daß ich schon mal in einem Zoo war, nur wann und wo das war, daran konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Pappa drehte den Zündschlüssel herum, und der Wagen sprang gleich an. Pappa war ein guter Fahrer, nur wenn er in der Stadt fuhr und es ihm nicht schnell genug ging, regte er sich immer maßlos auf, was ich natürlich nicht verstand.
    Wenn er dann immer aufs Lenkrad klopfte und ein paar fluchende Worte losstieß, mußte ich immer grinsen, da er es mir ja verbot, und er selber schimpft dann ziemlich oft in meiner Gegenwart. »Pappa, man darf doch nicht fluchen, hast du gesagt.«
    »Ja, da hast du recht mein Kleiner, das darf man nicht, und ich selber darf auch nicht fluchen, jaja, da muß ich dir recht geben«, entgegnete mein Pappa. Aber kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, da fluchte er schon wieder. »Himmel, Arsch und Wolkenbruch, diese verdammten Sonntagsfahrer, die ganze Woche furzen sie in ihren Bürosesseln rum, und wenn sie nach Hause fahren, halten sie den ganzen Verkehr auf, und sonntags ist es noch schlimmer.« Als er ruhig war, räusperte ich mich und er blickte zu mir herüber, lächelte mich verlegen an, klopfte mir kurz auf die Schulter und meinte dann: »Na ja, mein Junge, du hast bei mir einmal fluchen gut, aber du darfst Mutti davon nichts sagen.«
     
    »Ja Pappa, das geht schon klar, abgemacht ist abgemacht«, entgegnete ich.
    »Du wirst ja jetzt schon zum Geschäftsmann, die sagen auch immer abgemacht ist abgemacht«, sagte Pappa, und im geheimen freute ich mich, daß er so mit mir reden tut, als wenn ich ein Freund für ihn war und nicht sein Sohn, und das Verhältnis zu meinem Vater wurde besser in der letzten Zeit, stellte ich fest.
    Nun waren wir bei der Arztpraxis angelangt, und Pappa schaute erwartungsvoll das Haus hinauf und zwinkerte mir dann mit einem Auge zu. »Na, dann wollen wir mal in die Höhle des Löwen gehen«, sagte er und schwang sich aus dem Auto, ging auf die andere Seite und öffnete bei mir die Wagentür. Er nahm mich auf den Arm, und plötzlich sprach ein Fremder meinen Pappa an.
    »Darf ich ihnen helfen?«
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