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Ich Will Ihren Mann

Ich Will Ihren Mann

Titel: Ich Will Ihren Mann
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»Bitte verzeih mir.«

 
    28
     
     
    »Mann, ist das 'ne Kälte draußen!« rief Irving, als er in den kleinen Vorführraum stürmte. »Na, wie steht's?« fragte er und zog den Mantel aus.
    Bei seinem Eintritt waren die Anwesenden erwartungsvoll verstummt, doch nun klang Lilian von allen Seiten wieder munteres Stimmengewirr entgegen. Die altvertrauten Klagen über das miserable Chicagoer Novemberwetter waren das aktuelle Gesprächsthema. Ein paar Minuten lang hörte Lilian zu, wie Irving der kleinen Versammlung erklärte, daß der wichtigste Sponsor aufgehalten worden sei und man die Vorführung bis zu seinem Eintreffen verschieben müsse. »Stellt euch vor, es fängt tatsächlich an zu schneien!« war das letzte, was sie vernahm, ehe ihr Blick auf die riesige, leere Leinwand zurückkehrte. Die Tür hinter ihr öffnete und schloß sich wiederholt, immer mehr Leute trafen ein, und bald würde jeder Platz in dem engen Zuschauerraum besetzt sein. Aber nicht nur mit unbedeutenden, kleinen Randfiguren wie sie, sondern mit Spitzenkräften wie den Repräsentanten der Fernsehanstalt und den Sponsoren, den Leuten also, von denen es abhing, ob »Chicagos Stunde« ihre ersten sechzig Probeminuten überleben würde oder nicht. Ich sollte nervös sein, dachte sie. Glücklich. Ängstlich. Ärgerlich. Verwirrt. Irgendwas. Doch sie empfand von alledem ebensowenig, wie sie spürte, daß es draußen kalt und drinnen warm war, oder wie sie den Unterschied zwischen Lärm und Stille, zwischen Tag und Nacht wahrnahm. In den letzten drei bis vier Wochen war sie herumgegangen, als sei sie in den Körper einer Fremden geschlüpft. Sie fühlte sich wie ein welkes Herbstblatt, dessen Farben erloschen waren, in dem niemand die frühere Leuchtkraft vermutet hätte und das zusammengeschrumpft und unansehnlich nur noch darauf wartete, daß ein Rad darüber hinrollte, damit die Winde seine verdorrten Reste der Vergessenheit anheimgeben könnten. Die verdorrten Reste meiner Seele, dachte sie und fröstelte. »Na, was hältst du davon?« fragte er. »Wovon?« Lilian blickte sich nach Irving um, der sich auf die Rückenlehne ihres bequemen Sessels stützte. »Entschuldige, hast du mit mir gesprochen?« »Ich sagte, der November traf Chicago mit der Kraft eines gefrorenen Schneeballs, der gegen eine Windschutzscheibe prallt«, wiederholte er. »Wie findest du das?« »Was denn?« fragte Lilian. Sie merkte, daß sie lächelte, und ihr wurde bewußt, daß sie das schon lange nicht mehr getan hatte.
    »Ich hab's mir auf dem Weg ins Studio ausgedacht, das mit dem November, der wie ein Schneeball trifft. Ich fand's direkt poetisch.« Lilians Lächeln sprang auf ihre Augen über. »Geht's dir gut?« fragte er. »Aber klar doch«, antwortete sie. »Machen sie dir Schwierigkeiten an der Uni?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hab' ihnen erklärt, wie wichtig diese Vorführung ist und  daß ich dabeisein muß.«
    »Wie kommst du denn jetzt dort zurecht?« »Es geht so«, sagte sie gleichgültig. Er klopfte ihr auf die Schulter. »Paß nur auf, daß es nicht zu gut geht. Ich hab' das Gefühl, daß unsre Sendung den allgewaltigen Herren gefallen wird und du die heiligen Hallen der Wissenschaft endgültig mit der Welt vertauschen kannst, in der Sex und Gewalt immer noch 'n Thema sind. Was ist los mit dir, Lilli?« fragte er übergangslos. »Nichts«, sagte sie. »Ich bin bloß 'n bißchen übermüdet.« »Na, dann bestell diesem hübschen Burschen, mit dem du verheiratet bist, er soll dich mal richtig ausschlafen lassen.«
    Lilian wandte sich wieder der leeren Leinwand zu und starrte auf die weiße Fläche, auf der Davids Gesicht erschien. Er füllte sie leicht und mühelos, die Ausstrahlungskraft seiner Augen und die Wärme seines Lächelns wurden nur noch verstärkt durch die Übergröße ihrer imaginären Projektion. Plötzlich wußte Lilian, daß nichts und niemand und keine Zeit dieser Wirkung, die er auf sie hatte, etwas anhaben konnten. Es würde immer so bleiben, daß schon sein Anblick genügte, um ihre Knie zum Zittern zu bringen und ihr das Gefühl zu geben, sie sei linkisch und unbeholfen: das Mauerblümchen, das nervös die Tür öffnet und unverhofft dem umschwärmten Idol der ganzen Schule gegenübersteht.
    Das Bild ihres Mannes war wie ein Magnet, der sie unwiderstehlich anzog. Sie wollte darauf zu laufen, sich hineinwerfen, darin untergehen, doch sie wußte auf einmal, daß das Bild bei der leisesten Berührung zerspringen oder von der
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