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Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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mir ins Ausland, aber meine Eltern haben es nicht erlaubt. So wie früher schon einmal.«
    »War sie zu Hause denn in medizinischer Behandlung?«
    »Ich glaube schon. Ich bin zurück nach Italien geflogen, ohne jemandem vorher Bescheid zu geben, und da habe ich sie in ihrem Zimmer vorgefunden. Sie war so dünn und geschwächt, dass ich sie im ersten Moment gar nicht bemerkt habe.«
    »Und Ihre Mutter?«
    »Ich weiß nicht. Sie war nicht da. Giulia hat mich gefragt: ›Siehst du, wie ich eigentlich bin?‹ Und ich habe bejaht. Dann sagte sie noch: ›Vielleicht bist du der Einzige, der mich wirklich sieht, wie ich bin.‹ Zwei Tage später ist sie gestorben. An Herzversagen.«
    Eindeutig unterlassene Hilfeleistung. Wer würde denn das eigene Kind an Hunger sterben lassen, dazu wenn es im eigenen Bett liegt , denkt Funi.

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    »Versuch das mal zu beweisen. Du müsstest den Jungen dazu bringen auszusagen, dass seine Mutter Giulia nicht ausreichend versorgt hat.« Maria Dolores lehnt sich gegen den Tischrand. Dann schiebt sie hinterher: »Mach lieber einen Schlussstrich unter die ganze Sache. Weißt du, wie viele Familien es gibt, die sich eigentlich vor der Justiz zu verantworten hätten? Aber das ist eher ein philosophisches Thema als ein juristisches. Schau dir doch mal die Fakten an: Das Mädchen ist aus eigenem Antrieb nach Hause zurückgekehrt. Sie wollte sich nicht behandeln lassen. Hätte man sie nicht besser zwangseinweisen müssen? Natürlich. Aber während man darüber noch nachdachte, ist sie bereits gestorben. Genau das werden die Eltern aussagen. Über ihre Anwälte.«
    »Ich muss durchsetzen, dass man diese Klinik schließt.«
    »Gut so, pack die Sache von einer anderen Richtung an. Nur so hast du die Chance, ein wenig Gerechtigkeit zu schaffen.«
    »Ich habe noch immer nicht wirklich verstanden, was er da eigentlich mit den Mädchen gemacht hat, damit sie sich besser fühlten. Hat er ihnen Massagen verordnet? Sie geliebt? Zum Shoppen ausgeführt? Und die Mädchen haben das alles stillschweigend hingenommen?«
    »Wenn es dir so schlecht geht wie den Mädchen, kannst du nicht mehr unterscheiden, was dir guttut und was nicht. Du würdest alles mit dir machen lassen, nur damit es dir besser geht. Eingeschränkte Selbstbestimmung nennt man so was, merk dir das«, lautet ihre etwas kühle Antwort.
    »Dabei ist er nicht mal approbierter Arzt.« Funi lässt sich nicht vom Thema abbringen, als müsse er sein Gewissen erleichtern. »Er hat sich als Psychotherapeut ausgegeben. Die Ärztekammer der Region Lazio versucht auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem Ganzen nachzugehen. Alles ein riesiger Schwindel, Doris. Sogar die Unterschriften.«
    »Kommt vor«, entgegnet sie lakonisch.
    »Aber wie konnten die Familien so jemandem wie ihm vertrauen? Sie haben ihm ihre Töchter überlassen, Mädchen, die nur zwanzig oder dreißig Kilo wogen. Sogar Minderjährige waren darunter. Sie haben sie bereitwillig unter seinen Schutz gestellt, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr, und dafür Unsummen ausgegeben.«
    »Lässt du dir denn beim Arzt zuerst immer seinen Studienabschluss zeigen, oder vertraust du ihm? Und selbst wenn sie dir ihre Diplome vorzeigen oder sie sogar an der Wand ihrer Praxis hängen haben, was machst du dann? Überprüfst du sie?«
    »Ich vertraue ihnen natürlich. Bis etwas schiefgeht.«
    »Und selbst dann würdest du nicht unbedingt nachforschen. Nehmen wir mal an, einem Arzt gelingt es nicht, dich von deinem Leiden zu kurieren. Was machst du dann? Ich sage es dir: Du lässt dir doch nicht die Studienabschlüsse von deinem Arzt vorzeigen – sondern du gehst einfach zum nächsten. Die Gesellschaft garantiert für sie. Und du glaubst das, was sie dir sagen. Du glaubst, das wird schon stimmen und fertig. Du musst daran glauben. Du hast keine andere Wahl.«
    »Ich muss diese Klinik schließen lassen.«
    »Dazu fehlt nicht mehr viel. Nagel ihn mithilfe der Behandlungsprotokolle fest, der Verträglichkeit des Verfahrens, das er vorgibt, angewendet zu haben. Und du wirst sehen, wie schnell sich solche Negativschlagzeilen herumsprechen. Die Patienten werden von allein wegbleiben.«
    »Das Problem ist nur, dass er irgendwo anders weitermachen wird. Vielleicht in Bulgarien, in Südamerika.«
    »Sicher, das Risiko besteht. Aber versuchen wir zumindest das zu tun, was in unserer Macht steht. Was in eurer Macht steht, meine ich natürlich.«

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    Die Klinik Rinascita zählte rund dreihundert Personen zu ihren Patienten,
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