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Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser

Titel: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Autoren: Christian Ewers
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sind einander Konkurrenten, jetzt ganz besonders, in der Zeit vor der WM in Südafrika, der ersten für Kamerun seit 2002. Nur Eto’o, einer der besten afrikanischen Spieler der Gegenwart, Champions-League-Sieger, Meister und Pokalsieger mit dem FC Barcelona und seit Sommer 2009 bei Inter Mailand unter Vertrag, hat seinen Platz im WM-Team sicher. Alle anderen müssen zittern.
    Das ist die Strategie von Nationalcoach Paul Le Guen, einem Franzosen, der zuletzt Paris St. Germain trainierte. Le Guen will keine Erbhöfe und keine Kumpanei, er ist ein kühler, wortkarger Typ, direkt nach dem Dessert ist er aufgesprungen und verließ den Speisesaal.

    Gerade erst hat er seinen erfahrensten Mann entmachtet. Zehn Jahre war Rigobert Song der Anführer der Löwen, jetzt ist der 33 Jahre alte Innenverteidiger, der auch mal für den 1. FC Köln gespielt hat, sein Kapitänsamt los und seinen Platz in der Viererkette auch. Nach mehr als 120 Länderspielen.
    Jeder hier im Saal weiß, dass in der Vergangenheit oft schmutzig gespielt wurde. Dass nicht unbedingt die Besten das kamerunische Trikot trugen, sondern die, die von mächtigen Agenten vertreten wurden. Agenten, die den Trainer und Funktionäre bestachen, um aus ihren Spielern Nationalspieler zu machen. Unter Le Guen gebe es keine Schiebereien mehr, sagen Spielerberater, die noch bis vor kurzem zahlten. Rund 10.000 Dollar hatten sie für eine Einladung ins Nationalteam auf den Tisch gelegt. Eine Investition, die sich lohnte, denn vom Tag der Nominierung an schnellte der Markwert ihres Klienten nach oben. Kamerunischer Nationalspieler, das zählt im Weltfußball, das ist ein Qualitätsausweis, der es einfacher macht, einen guten Vertrag auszuhandeln in Europa.
    In diesen Mittagsstunden in Klagenfurt scheint das alles fern, die Schmiergelder, der Kampf um die Stammplätze, der eiskalte Monsieur Le Guen. Alle albern herum, gackern, johlen, manche singen. Es sind selbstvergessene Stunden, die Welt da draußen steht still, wenn es sie überhaupt gibt.
    Selten hat man Samuel Eto’o so gelöst gesehen. Er hat jetzt nicht diesen maskenhaften Blick wie in Mailand oder Barcelona, ernst, verbissen, die Augen zu Schlitzen verengt. Eto’o lacht, er schüttelt
sich vor Lachen. Und Geremi Njitap, der sonst so raue Abwehrrecke von Ankaragücü: Er ist der Clown am Tisch, reißt Witze, schneidet Grimassen. Auch Rigobert Song, der abservierte Kapitän: keine Verbitterung, kein Groll, er lacht mit.
    Sie sind so wie früher, als sie noch Kinder waren. Viele haben schon in der Heimat miteinander oder gegeneinander gespielt, in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, oder in Douala im Westen, in der Nähe des Atlantiks. »Wenn ich mit meinen Jungs zusammen bin«, wird Eto’o später im Interview sagen, »erinnere ich mich daran, was ich als kleiner Junge so sehr am Fußball geliebt habe: Dass ich den Kopf nicht brauche wie in der Schule, sondern nur mein Herz. Für Kamerun zu spielen, heißt für mich, meine Seele sprechen zu lassen, abzuschalten und es passieren zu lassen.«
    Eto’o ist gut darin, abzuschalten. Das vereinbarte Interview verschiebt er nach der Mittagspause mit einem dürren Satz: vor dem Training, ganz bestimmt, mon ami . Vor dem Training sagt er: nach dem Training. Nach dem Training sagt er: vor dem Abendessen. Vor dem Abendessen sagt er: nach dem Abendessen. Nach dem Abendessen sagt er: morgen früh. So geht das zwei Tage, was für Eto’o zählt, sind allein seine Jungs, stundenlose Tage an den Esstischen und in der Hotellobby, Geschichten von früher, Geschichten aus Kamerun.
    Irgendwann steht er dann doch vor einem, um den Hals eine lange Silberkette, die er durch die Finger gleiten lässt und sagt: »Ich bin bereit.« Eto’o wirkt überraschend klein, schmächtig fast,
nach allem, was man über ihn gelesen hat, den Dschungellöwen, den Krieger. In dem Gespräch soll es darum gehen, wie sich das anfühlt, wenn die eigenen Siege zu Afrikas Siegen werden, wie man daran zu tragen hat, Botschafter eines ganzen Kontinents zu sein. »Gutes Thema«, sagt Eto’o. »Mein Thema.«
     
     
     
    Monsieur Eto’o, dann erzählen Sie doch mal: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie ein Tor geschossen haben? Ihr Jubel ist auffällig bescheiden, Sie wirken oft in sich gekehrt.
    Vielleicht werden Sie mich auslachen: Wenn es ein wichtiges Tor war, denke ich an meine Mutter. In großen Momenten habe ich immer dieses Bild vor Augen, wie sie frühmorgens im Dunkeln aus dem Haus geht, um Fisch zu
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