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Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser

Titel: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Autoren: Christian Ewers
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zugehörig, auch wenn es nur eine Verwandtschaft um fünf Ecken ist.
    Kouemaha wird zurückgehen, wenn er aufhört mit dem Fußball in Europa. Das steht für ihn fest, und das macht das Leben hier etwas erträglicher. Während der Saison in Duisburg ist er nicht ein einziges Mal ausgegangen, die Stadt hat ihn nicht interessiert, seine Frau hat für ihn gekocht, und seine sechsjährige Tochter Belleville war da, alle wussten, dass Duisburg nur eine Station sein wird.

    Dorge Kouemaha mit Tochter Belleville und Berater Oliver König

    Und jetzt, im Hotel Weinebrugge, ist alles noch provisorischer. Kouemaha lebt aus dem Koffer, der schwarze Samsonite liegt aufgeklappt auf dem Bett, nasse Handtücher hängen über den Stuhllehnen, auf dem Boden ein plastikverschweißter Sechserpack Mineralwasser. Das Zimmer eines Wanderarbeiters, der durchhalten will, nicht genießen.
    Wenige Stunden noch, dann hat er es erstmal geschafft, dann wird er unterwegs sein in die Heimat, nach Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns. Es ist jetzt Sonntagabend, kurz nach 22 Uhr, Kouemaha sitzt noch immer mit König in der Hotellobby. »Wie komme ich eigentlich morgen zum Flughafen?«, sagt Kouemaha plötzlich. Es gibt einen Zug von Brügge direkt zum Flughafen, König geht zur Rezeption und will eine Verbindung raussuchen lassen. »Nein, nicht mit dem Zug«, ruft ihm Kouemaha nach, »ich bin noch nie allein mit dem Zug gefahren.«
    König startet einen Rundruf, klingelt bei Freunden, Bekannten und Geschäftspartnern in Brügge durch. Wer kann Kouemaha heute Abend noch nach Brüssel bringen? Morgen früh wird Stau sein, er muss heute Abend noch hin. Sonntagabend um 22 Uhr sind die meisten Handys ausgeschaltet, König spricht auf viele Mailboxen, er findet schließlich jemanden, Didier Frenay, Berater bei der Agentur StarFactory. Frenay fährt, König bucht für Kouemaha ein Zimmer im Airporthotel Sheraton, es ist jetzt 23 Uhr, Problem gelöst.
    König bleibt noch eine Nacht in Brügge, er wohnt im Novotel,
am nächsten Morgen um zehn Uhr geht es zurück nach Frankfurt. König steigt in seinen Audi Q5, verbindet das Blackberry mit der Freisprechanlage, und es dauert vielleicht drei, vier Minuten, dann klingelt es. 00233 Ghana zeigt das Display an, und die Stimme klingt sehr aufgeregt.

Samuel Eto’o, 29
    Nkon, Kamerun
    Inter Mailand
    28

    SAMUEL ETO‘O
    »DER GANZE KONTINENT IST ENTFLAMMT«
    Sie trafen sich an einem Sonntag im August in Paris, auf dem Flughafen Charles de Gaulle. Die meisten hatten eine kurze Anreise, sie spielen ja in Europa für große Klubs in großen Städten, für Inter Mailand, Arsenal London, Olympique Marseille und Ajax Amsterdam. Am Abend wollen sie weiter nach Klagenfurt fliegen, zur Vorbereitung auf das Länderspiel gegen Österreich am Mittwoch. Das ist der Plan.
    Aus Sonntagabend wird Montagmorgen, und aus Montagmorgen wird Montagmittag, um zwölf Uhr landet die Chartermaschine der kamerunischen Nationalmannschaft schließlich in Klagenfurt. Das Mittagessen im Hotel Lindner dauert fast zwei Stunden. Die Kellner haben längst abgeräumt, doch die Mannschaft sitzt noch immer da, auch Iya Mohamed, der Präsident der Fédération Camerounaise de Football. Mohamed liegt fast in seinem Stuhl, die Augen hat er halb geschlossen, die Beine weit von sich gestreckt, er lächelt. Drüben an den Tischen beschießen sie sich gegenseitig mit Kügelchen, die sie aus Papierservietten geknetet haben. Samuel Eto’o, der neue Kapitän der lions indomptables , der »unzähmbaren Löwen«, hat eine ganze Batterie Kugeln vor sich liegen, hart und präzise schnippt er sie seinen Mitspielern an die Stirn. Großes Geschrei,
die anderen schießen zurück, einer wirft mit Schnittblumen, die als Dekoration auf den Tischen stehen.
    Iya Mohamed lächelt wie ein Vater, der seinen Söhnen beim Spielen zusieht. Aber das ist er nicht: der gütige Vater. Vor der WM 2002 feilschte Mohamed mit der Mannschaft um Prämien, die Verhandlungen zogen sich hin, über Tage und Wochen, und die WM rückte immer näher, es gab Streik, neue Angebote und wieder Streik. Am Ende reisten die Spieler mit großer Verspätung zum Turnier. Und auf seltsamen Wegen. Sie brauchten 44 Stunden, um von Kamerun nach Japan zu kommen, erst wenige Stunden vor Anpfiff des ersten Spiels trafen sie im WM-Quartier ein. Kamerun schied in der Vorrunde aus.
    Sie sind keine Familie, auch wenn Samuel Eto’o das seit Jahren behauptet, wenn er über das Nationalteam spricht: »ma famille«. Sie
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