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Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser

Titel: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Autoren: Christian Ewers
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an spielen. »Das habe ich mir verdient.«
    Am nächsten Tag tritt Brügge gegen den RSC Anderlecht an. Es ist das Spitzenspiel der belgischen Liga, Erster gegen Zweiter, die 30.000 Plätze im Jan-Breydel-Stadion zu Brügge sind schon seit Wochen ausverkauft. Als die Mannschaften wenige Minuten vor Anpfiff auf den Rasen laufen, biegt Kouemaha gleich nach links ab, wo die Ersatzbank steht. Wieder nichts.
    Es läuft gut für Brügge und schlecht für Kouemaha. 3:1 zur Halbzeit, Joseph Akpala macht ein überragendes Spiel. Zwölf Minuten vor Schluss wird Kouemaha eingewechselt. Eine Chance erkämpft er sich, er wühlt sich durch die Abwehr, steht frei vorm Tor, aber dann gelingt ihm nur ein Schüsschen, mit der Fußspitze kommt er
an den Ball, und Anderlechts Keeper pflückt ihn ganz ruhig aus der Luft. Schlusspfiff, 4:2 für Brügge.
    Unten im VIP-Keller, einem schmucklosen Raum unter dem Stadion, wartet König auf Kouemaha. Es ist stickig hier, man muss Getränkebons kaufen für Wasser, Cola und Bier, und auf den Flachbildschirmen läuft eine Endlosschleife mit den Toren vom Nachmittag. König hat sie bestimmt schon hundertmal gesehen. Kouemaha kommt nicht.
    Aber er ruft an, nach zwei Stunden. »Es ist vorbei, nie wieder Brügge! Olli, such mir einen neuen Klub, sofort. Ich gehe, das war’s. Ich gehe, sofort!« Dann legt er auf.
    »Bitte, nicht schon wieder«, stöhnt König und geht zum Parkplatz.
    König hat sich mal eine Zeit lang zurückgezogen aus dem Transfergeschäft mit afrikanischen Spielern. Das war vor zehn Jahren, es ging einfach nicht mehr, seine Beziehung war zerbrochen, rund um die Uhr war er für die Spieler da gewesen und nie richtig für seine Freundin. »Ich dachte, ich müsste die Welt verbessern«, sagt König, »ich war die Caritas für Fußballer.« Zum Schluss ging König nicht mal mehr ins Kino. Zwei Stunden ohne Handy, zwei Stunden nicht erreichbar zu sein für seine Jungs, das traute er sich nicht. Es könnte ja was passieren. Und es passierte dauernd was.
    Deutschland in den Neunzigern, das waren nicht nur brennende Asylantenheime und Hetzjagden auf Ausländer im Osten. Das war auch der kleine Rassismus im Alltag, im Stadion, Affengebrüll von den Rängen, wenn der Gegner einen schwarzen Spieler in seinen Reihen hatte, es flogen Bananen, Bayern-Fans winkten mit Aldi-Tüten, als Besiktas Istanbul in der Champions League zu Gast war.
    Und die, die unten auf dem Platz standen oder an der Seitenlinie,
benahmen sich oft auch nicht besser. Paul Steiner, Verteidiger beim 1. FC Köln, pöbelte im Spiel gegen Nürnberg den senegalesischen Stürmer Souleyman Sané an: »Scheiß-Nigger, hau ab. Was willst du in Deutschland?« Klaus Schlappner, Trainer des 1. FC Saarbrücken, sagte: »Der Schwarze ist undiszipliniert, verträgt den Winter nicht und hat Malaria.« Otto Rehhagel, Trainer des FC Bayern, versuchte auf seine Weise, die Mannschaft auf ein Spiel gegen Hansa Rostock einzuschwören. Er rief: »Die Neger nehmen uns die Arbeitsplätze weg.« Für Rostock spielte Jonathan Akpoborie, ein Stürmer aus Nigeria.
    König musste in jenen Jahren viel zuhören, er musste trösten, Mut machen und erklären. Vor allem das: erklären. Bundesligaklubs, Amateurvereine, sogar Kreisligisten hatten Anfang der Neunziger Spieler aus Afrika verpflichtet, ohne zu wissen, welche Menschen da kommen würden. Es ging damals alles so schnell, ein Kontinent war entdeckt worden über Nacht. Es war der 1. Juli 1990, ein Sonntag, der Afrika auf die Weltkarte des Fußballs brachte.
    Weltmeisterschaft in Italien, Viertelfinale Kamerun gegen England. 81 Minuten lang beherrscht Kamerun, der Zwerg aus Afrika, das große England, Weltmeister 1966 und Erfinder des modernen Fußballs. Kamerun führt 2:1, es spielt atemberaubend elegant und doch ohne Schnörkel, die Sensation, das Halbfinale, scheint zum Greifen nah. Dann schlägt Englands Gary Lineker zu. Elfmeter in der 82. Minute, 2:2, und in der Nachspielzeit, 105. Minute: wieder Elfmeter, wieder Lineker, wieder drin. Und das tapfere Kamerun draußen.
    Europa aber staunte, wenige Tage nur. Dann kaufte es ein, schnell und blindwütig.
    Es gab in diesen Jahren des Goldrausches ein paar Erfolgsgeschichten:
Emmanuel Amunike aus Nigeria machte beim FC Barcelona Karriere und sein Landsmann Nwankwo Kanu bei Inter Mailand. Samuel Osei Kuffour aus Ghana kam als 15-Jähriger zum AC Turin, wechselte später zum FC Bayern, gewann die Champions League und sechsmal die deutsche Meisterschaft.
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