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Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser

Titel: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Autoren: Christian Ewers
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M’Bami wechselte 2003 zu Paris St. Germain und Carlos Kameni 2004 zu Espanyol Barcelona. Und Jean Makoun war Stammspieler in Lille, mehrere Klubs in Frankreich warben um ihn.
    Ich kann es auch schaffen, dieser Gedanke wuchs in Ordi, er wurde größer und größer, je mehr er hörte und las von seinen alten Freunden. M’Bami und Makoun waren ja nicht viel besser gewesen, früher, bei Jeunesse. Warum sollte es nicht klappen?

    Ordi kann nicht genau sagen, wo der Bruchpunkt in seiner Karriere liegt, es gibt keinen Moment, kein Datum. »Es ist da etwas zerlaufen«, sagt er. »Ich habe es am Anfang gar nicht bemerkt: Ich habe trainiert und nebenbei ein bisschen gejobbt, aber dann war das Geld aufgebraucht, das ich in Kamerun zurückgelegt hatte. Ich hatte kein Dach mehr über dem Kopf, ich musste viel mehr arbeiten und konnte viel weniger trainieren. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich Bälle verliere, die ich früher nicht verloren habe, ich wurde immer langsamer, immer müder, auch im Kopf. Was sollte ich machen? Ich musste arbeiten, ich hatte keine Wahl. Und dann habe ich mich nicht mehr um Probetrainings bemüht. Ich konnte mich nicht mehr zeigen. Ich bin einfach außer Form, noch immer.«
    Am Spielfeldrand, zwischen leeren Plastikflaschen und Laubhäufchen aus dem letzten Herbst, sitzt Habib Kerdine auf einer Holzbank. Einer wie Kerdine ist eine Chance für jeden hier in Saint-Denis. Und er ist zugleich das Ende aller Träume.
    Kerdine, 52, trainiert die Mannschaft Communaux Maisons-Alfort, er ist gekommen, weil er noch Verstärkung sucht für die neue Saison. Kerdines Team, in dem Angestellte einer städtischen Kommune spielen, tritt in der division d’honneur an, in einer Betriebssportliga. »Wir können kein Geld zahlen, aber wir versuchen, den Jungs einen Job zu besorgen«, sagt Kerdine. »Das ist alles, was wir tun können. Wir sind nur ein kleiner Klub.«
    Maisons-Alfort liegt am südöstlichen Stadtrand von Paris, am Ufer der Marne. Maisons-Alfort ist eine Wegscheide für die Fußballer aus Saint-Denis. Wer nach Alfort geht, entscheidet sich für ein Leben mit ein bisschen mehr Sicherheit. Der wird Pförtner,
Kurier oder Putzmann. Wie zuletzt Charles Pokam aus Kamerun, 24 Jahre alt, tagsüber Gebäudereiniger, abends Torwart von Communaux Maisons-Alfort.
    Alfort ist der erste Schritt raus aus der Illegalität, hinein in ein Leben mit kleinem Einkommen und kleiner Wohnung. Alfort bedeutet aber auch den endgültigen Abschied vom Profifußball. Wer bei Kerdine unterschreibt, spielt tief im Keller und kommt nicht mehr ans Licht. Hier heißen die Gegner La Poste, BNP Paribas oder Orange, es sind Mitarbeiter von der Post, von einer Bank oder einem Mobilfunkunternehmen, sie wollen ein wenig kicken nach Feierabend, zum Spaß.
    Ordi sagt, er wäre bereit, nach Alfort zu gehen. Aber er weiß, dass er Geduld haben muss, kein Trainer holt einen Kniekranken ohne Diagnose. Der rechte Meniskus schmerzt seit Wochen, einen Arztbesuch kann Ordi sich nicht leisten. Seine Therapie ist Warten. Wie immer.
    »Es müsste endlich mal etwas passieren«, sagt Ordi. »Seit vier Jahren hoffe ich, aber nichts geht vorwärts. Nichts.«
    Er will dieses Leben nicht mehr, ein Leben, das aus Erinnerungen besteht, an Kamerun, an die Familie, an Fußball mit Freunden. Ein Leben, das keine Gegenwart kennt, nur Vergangenheit und Träume von einer besseren Zukunft.
    Trainer Abel Chijou Chilacha weiß um die Träume seiner Spieler, sie fragen ihn immer wieder nach einem Job, und Chilacha nutzt das auch für sich, es lässt sich ein wenig Geld verdienen damit. Gelegentlich vermittelt er einen von seinen Jungs zu einem kleinen Klub, dafür gibt es dann ein paar Hundert Euro Ablöse. Aber das ist nicht wirklich Chilachas Welt. Er will hoch hinaus, er will seine Spieler bei Paris St. Germain unterbringen, bei Olympique Marseille,
beim AS Monaco oder in Le Havre. Er will zeigen, dass er ein Talentschmied ist, und natürlich will er auch ein dickes Handgeld.
    Deshalb braucht Chilacha ein gutes Niveau im Training, auch Härte, er will seine Leute vorbereiten auf den großen Tag, auf ein Probespiel bei einem namhaften Klub. Chilacha telefoniert viel während des Trainings, laut, alle sollen glauben, dass er Kontakte hat nach ganz oben, in die erste Liga. Die Satzfetzen und Klubnamen, die auf den Platz hinüberwehen, werden seine Spieler nur noch hungriger, noch bissiger machen. Chilacha weiß das.
    Sein Lieblingsspieler ist Robert Assio’o, 16
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