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Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser

Titel: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Autoren: Christian Ewers
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her, Besoffene, die hatten Butterfly-Messer. Ich bin um mein Leben gerannt, und ich dachte, ich hätte es geschafft, als ich in einer Seitenstraße einen Streifenwagen sah. Ich habe gegen die Scheibe geklopft und gefleht: »Bitte lasst mich rein!« Aber die Polizisten haben die Tür nicht aufgemacht, der am Steuer rief durch die Scheibe: »Viel los heute, wir müssen arbeiten. Sieh zu, dass du Land gewinnst.« Ich habe gebrüllt: »Ich bin Ojokojo, der Fußballer! Ihr könnt mich doch nicht draußen lassen.« Das hat Wunder gewirkt. »Ah, Ojo, na klar, steig ein!«, haben sie gesagt, und dann wollten sie Autogramme.
    Das kann nicht wahr sein.
    Ich wurde geliebt als Fußballer und abgelehnt als Mensch, als Schwarzer. Einmal abends wollte ich in die Disco, »Elios« hieß die, ich hatte mich extra schick angezogen, aber der Türsteher sagte: »Du kommst hier nicht rein, so nicht.« Am nächsten Tag habe ich das meinen Mitspielern erzählt, und die sprachen dann mit dem Boss vom »Elios«, und plötzlich war alles kein Problem mehr. »Du musst das nächste Mal nur sagen, dass du der Ojokojo vom FC bist«, sagten sie. Ich habe es nie wieder beim »Elios« versucht. Dass du aufgespalten wirst in eine gute und in eine böse, schwarze Hälfte - das war das Schlimmste in all den Jahren.

    Warum sind Sie nicht gegangen nach diesen Attacken und Kränkungen? Warum haben Sie sich nicht um einen neuen Klub bemüht?
    Ich war so froh, einen sicheren Job zu haben. Bei CSB Libreville in Gabun, meinem letzten Verein, hatte ich 400 Mark im Monat verdient. Das heißt, wenn überhaupt Geld gezahlt wurde. In Chemnitz waren es in der ersten Saison 4000 Mark netto. Sie zahlten immer pünktlich, und im Verein waren sie auch nett und hilfsbereit. Ich stand immer zwischen diesen beiden Polen: Liebe und Hass. Aber weil es eben auch Liebe gab, von den Leuten im Verein, von Fans, die mich feierten und meinen Namen sangen, habe ich den Hass ausgehalten. Ich wollte nicht zurück nach Nigeria. Ich dachte: Alles in dieser Welt ist besser als Nigeria. Und ich denke das heute auch noch manchmal.
    Was schreckt Sie so ab an Ihrem Heimatland?
    Nigeria ist nicht fair. Wir haben riesige Vorkommen an Öl und Gas, aber das bringt den einfachen Menschen nichts. Ein paar Männer machen sich die Taschen voll, und alle anderen müssen um ihr Leben kämpfen. Jeder denkt nur an seinen Vorteil und nimmt sich, was er kriegen kann. Logisch, wenn mehr als die Hälfte der Nigerianer mit weniger als einem Dollar auskommen muss am Tag. Nigeria ist Existenzkampf, jeder gegen jeden, jede Sekunde. Solch ein Land hat keine Zukunft, und ich möchte auch nicht,
dass meine Kinder unter solchen Bedingungen aufwachsen.
    Haben Sie noch Kontakt nach Nigeria?
    Ich bin 1997 das letzte Mal dort gewesen. Ich kann mir keine Flugtickets mehr für die ganze Familie leisten. Aber ich telefoniere fast täglich mit meiner Mutter und mit meinen Schwestern. Ich möchte, dass es ihnen gut geht, und unterstütze sie, wenn ich kann. Im Moment ist es schwer. Ich habe keine Rücklagen mehr aus meiner Zeit als Profi. Das Geld ist weg.
    Einfach ausgegeben?
    Nein, ich habe viel, viel nach Nigeria überwiesen. Jede Mark, die ich übrig hatte, hat meine Familie bekommen. Mein Vater hat zwei Frauen, ich habe acht Geschwister - können Sie sich vorstellen, wie schnell da 1000 Mark aufgebraucht sind? Und es war ja nicht nur Geld. Ich habe 1993, als ich das erste Mal zurückgeflogen bin nach Lagos, riesige Kisten mitgenommen, voller Kleidung, Küchengeräte und Hi-Fi-Zeug. Ich habe 6000 Mark für Übergepäck bezahlt.
    War es ein Fehler, die Familie über alles zu stellen und sich so zu verausgaben?
    Entschuldigen Sie, aber solch eine Frage kann nur ein Deutscher stellen. Ein Afrikaner stellt sie sich nicht. Schon als Kind lernst du, dass es deine Pflicht ist, für die Familie zu sorgen. Du musst. Daran wirst du in Afrika
auch gemessen: Schaffst du es nicht, deine Familie zu ernähren, bist du ein Versager. Und wenn du in Europa lebst und nichts überweist, bist du nicht nur das, sondern auch ein Verräter, ein Sünder.
    Trotzdem: Sie haben für den Chemnitzer FC gespielt, für Borussia Neunkirchen und für Sachsen Leipzig. Wenn von acht Jahren nichts übrig bleibt - haben Sie nicht doch etwas falsch gemacht?
    Wenn Sie die Geldgeschichte meinen: nein. Vielleicht aber hätte ich den Mut haben müssen, den Osten früher zu verlassen. Seit vier Jahren leben wir in Spandau, im Berliner Westen, und ich habe noch
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