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Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser

Titel: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Autoren: Christian Ewers
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dorthin.
    Oft sehen sie auch Geld, wo keines ist. Ich bin seit sechs Jahren weg aus München, und seit sechs Jahren habe ich keinen Verein mehr, aber die Leute in meiner Stadt glauben noch immer, ich sei reich. Ich wohne in Tema, einer Hafenstadt, 25 Kilometer von Accra entfernt. Durch Tema fahren Busse, die meinen Namen tragen. Die Straße, in der ich
wohne, heißt Awudu-Issaka-Road, ich bin berühmt, das schon, aber ich habe kein Geld. Schon lange nicht mehr. Ich habe erst zum Schluss ganz okay verdient in München, 5000 Euro im Monat, davon habe ich mir ein Haus gekauft, und meinen Eltern habe ich auch ein paar Tausend Euro gegeben, denn das Leben ist hart in meiner Heimat, in Sunyani, tief im Westen Ghanas. Dort gibt es ein bisschen Landwirtschaft und sonst nicht viel.
    Ich bekomme auch heute noch jede Woche Anrufe, ob ich nicht etwas Geld verleihen kann. Leihen, so heißt das bei uns. Der Witz ist: Meine Frau, meine zwei Kinder und ich leben selbst von dem, was andere mir zustecken. Gerald Asamoah von Schalke 04, ein guter Freund, hat mir letztens 200 Dollar überwiesen, mein ehemaliger Berater in Deutschland schickt zu Weihnachten auch immer einige Hundert Dollar.
    Meine ältesten Kumpels in Ghana wissen genau, wie es mir geht, aber sie helfen mir nicht. Nii Odartey Lamptey zum Beispiel: Wir kennen uns seit 15 Jahren, Odartey hat Karriere gemacht in Europa, keine gigantische, aber er hat immerhin für Klubs wie Anderlecht, Eindhoven und Aston Villa gespielt. Er besitzt jetzt eine Rinderfarm, das Geschäft läuft gut, er hat Geld. Und er hat große Angst darum. Odartey hat mich noch nie zu sich nach Hause eingeladen.
    Jemanden zu sich einzuladen ist ein Risiko. Als Gastgeber kann man schlecht flüchten aus seinem Haus. Was soll man machen mit Besuch, der vor einem sitzt und Tränen vergießt - echte oder gespielte, wer weiß das schon? Aus dieser Situation kommt man nicht mehr raus,
es sei denn, man zahlt. Ich habe das selbst früher ein paarmal erlebt, in meinem eigenen Haus, es war beklemmend, es war beschämend, schlimm für beide Seiten.
    In 15 Jahren habe ich Odartey noch nie gefragt, ob ich zu ihm kommen darf. Ich möchte nicht, dass er fürchtet, dass es peinlich werden könnte. Geld macht Freundschaften kompliziert bei uns in Ghana, es zerstört sie oft auch. Zu manchen Mitspielern, mit denen ich 1995 U17-Weltmeister geworden bin, habe ich gar keinen Kontakt mehr. Echte Freundschaften halten nur, wenn man finanziell auf einem Level ist, es ist einfach zu anstrengend sonst, immer alles auszuklammern, was mit Geld zu tun hat oder zu tun haben könnte, bestimmte Orte, bestimmte Gesprächsthemen - bloß um nicht in Verdacht zu geraten, man wolle dem anderen ans Portemonnaie.
    Wir schlagen uns irgendwie durch, meine Frau hat gelegentlich einen kleinen Job im Supermarkt, hungern müssen wir nicht. Und ich trainiere jeden Tag hart für mein Comeback. Zusammen mit ein paar Spielern aus der Nachbarschaft, auf einem kleinen Platz am Ende der Awudu-Issaka-Road. Ich war lange verletzt am Knie und am Sprunggelenk, aber jetzt bin ich wieder fit, wie in meinen besten Zeiten. Ich hoffe, dass ich noch mal einen Klub finde, am besten in den Vereinigten Emiraten, dort sollen sie sensationelle Gehälter zahlen. Ein letzter gut dotierter Vertrag, das wäre schön. Und stressig natürlich auch. Ich werde mir diesmal eine Geheimnummer besorgen.

DIE GESTRANDETEN VON SAINT-DENIS
    Sie lieben ihr Trikot. Sie waschen es jeden Tag, sie bügeln es, sie flicken und sie stopfen es. Nichts darf abblättern, nicht die Rückennummer, schon gar nicht das Vereinswappen. Sie lieben ihr Trikot, weil es erzählt von einer besseren Zeit, einer Zeit, als sie noch Geld verdienten mit ihrem Fußball, in den dritten und vierten Ligen Frankreichs, in der zweiten Liga Ungarns oder in der ersten Rumäniens. Bei Klubs ohne klangvollen Namen zwar, doch es gab Geld, manchmal auch eine Wohnung, selten ein Auto. Immer aber gab es die Hoffnung, dass es aufwärtsgehen wird. Dass das bloß der Anfang einer großen Karriere in Europa ist.
    Und jetzt laufen sie über einen vollgemüllten Kunstrasenplatz in Saint-Denis bei Paris, 48 Fußballer aus Afrika. Die meisten von ihnen stammen aus ehemaligen französischen Kolonien, aus Mali, Kamerun, Senegal, Burkina Faso, Togo und der Elfenbeinküste. Sie kamen vor Jahren, um ihr Glück zu machen in der Fremde, und sie glauben immer noch daran, dass sie es schaffen, jeden Tag fester und verzweifelter.
    Sie treffen
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