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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf...
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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gute Augen, dieser Schuft von Vater.
Dieser Schuft. Ich will, daß man mir nie mehr sagt, es ist mein Vater.
    Er ist glücklich, und er schert sich
einen Dreck drum, daß es mich schmerzt, daß ich weine. Schert sich einen Dreck
um meine Qual. Er denkt nicht an mich, sondern nur an sich.
    Er sagt, er will mich säubern, dieser
Schuft. Er will mich sozusagen vom Übel reinwaschen. Aber wer ist der Üble von
uns beiden? Er oder ich? Ich möchte weinen, so weh tut es. So sehr ekelt mich
vor ihm. Und dann möchte ich, daß er krepiert. Daß er auf der Stelle krepiert,
einfach so, mit einem Schlag. Damit er mich in Frieden läßt. Weil ich nichts
getan habe. Scheiße. Ich habe gar nichts tun wollen! Ich habe nicht mit Franck
geschlafen! Diese Behauptung ist ein ungeheuerlicher Unsinn.
    »Du hast mit diesem Dreckskerl
geschlafen. Du bist eine kleine Hure! Eine richtige kleine Hure, das bist du,
mein Mädchen! Eine Nutte. Du hast mit diesem Kerl geschlafen, du hast mit ihm
geschlafen!«
    »Hör auf, Papa, hör auf, bitte, bitte.
Ich hab’ nicht mit Franck geschlafen, du mußt mir glauben, das ist die
Wahrheit.«
    »Du lügst. Auf alle Fälle bist du eine
Lügnerin. Ab jetzt werde ich dir nie mehr glauben, Schluß, aus! Kleine Hure!«
    Und er schlägt immer weiter, ich kann
noch so sehr versuchen, den Schlägen auszuweichen, er trifft mich pausenlos.
Dieser Schuft ist ein Teufel.
    »Papa, ich hab’s nicht getan, es ist
die Wahrheit. Bring mich zum Arzt! Er wird dir sagen, daß es stimmt. Er wird’s
dir beweisen! Ich weiß, daß man das beweisen kann... Papa...«
    Es dreht mir das Herz im Leibe herum,
und ich kann das Wort »Papa« nur mit Mühe herausbringen, aber er muß aufhören
zu schlagen, mein Gott, ich ertrag’s nicht mehr.
    Es hat ihn überrascht, daß ich vom
Hausarzt gesprochen habe. Wir kennen ihn schon seit ewigen Zeiten, seit ich ein
Baby war.
    »Wir brauchen keinen Arzt. Ich kann das
auch selbst sehen.«
    Er hat aufgehört zu schlagen. Aber ich
verstehe nicht, was er da sagt. Er ist vollständig übergeschnappt. Er wird doch
nicht Doktor spielen? Ich spiele nicht. Mir tut alles weh. Begreift er das
nicht? Mir einreden wollen, daß er mich verarzten kann. Ich bin ein Kind, aber
immerhin...
    Er wirft mich auf das Bett des kleinen
Bruders. Ich mache mich ganz klein, wie ein Häufchen, wie eine Kugel, damit er
mich nicht anfaßt. Ich will nicht, daß er mich überall anfaßt. ÜBERALL. Ich
weiß, was ÜBERALL heißt.
    »Halt still. Ich bin alt genug, um zu
wissen, ob du mit ihm geschlafen hast. Leg dich hin und laß mich nur machen!«
    Das ist ein Fremder. Ich weiß nicht
mehr, wer das ist und was er mit mir tun wird. Ich kann nicht mehr versuchen zu
verstehen, was geschieht. Ich habe keine Kraft mehr.
    Er schaut mich lange an. Dann setzt er
sich neben mich, er macht langsame Bewegungen, um meine Beine nach oben
anzuwinkeln. Er guckt. Ich weiß nicht, was er anschaut. Ich schäme mich für all
das, für mich, für ihn, für die Stellung, die er mir aufgezwungen hat. Ich
weine immer noch, hoffe, ihn zu erweichen, vielleicht wird er ablassen. Aber
nein. Kein Mitlied, nur Gemeinheit. Auch als er mich weinen sieht, läßt er sich
nicht beirren. Auch als er sagt, ich solle zu weinen aufhören, macht er mit
seinem Zeug weiter. Er streichelt meine Beine, sie sind ganz mager, zittern.
Neben meinen schmalen Beinen hat er riesige Hände. Er murmelt Worte, doch meine
Ohren sind ganz zu von dem vielen Weinen, ich verstehe nichts. Ich fühle, wie
sein Arm meinen Oberkörper abblockt. Er will mich daran hindern, mich
aufzusetzen, zu sehen, was er macht.
    Ich habe immer Angst vor unbekannten
Dingen gehabt. Vor allem Unbekannten. Und der Unbekannte, das ist im Augenblick
mein Vater! Obwohl ich ihn kenne. Jetzt nicht mehr. Mein ganzer Körper
verkrampft sich. In mir zieht sich alles zusammen. Sogar das Übel, das er mir
antut, zieht sich zusammen. Ich habe einen trockenen Mund, und immer noch ist
mir speiübel.
    Irgend etwas ist eben in mich
reingefahren. Irgend etwas Widerliches, Schmutziges.
    »Was ist das?«
    »Sei still.«
    Ich habe einen komischen Gedanken. Ich
fühle, wie sich mein Herz in meiner Brust zusammenzieht. Ich bin sicher, man
sähe mein kleines, ganz kleines, immer kleineres Herz verschwinden, könnte man
es sehen.
    Ich möchte wissen, was er in mich
reingesteckt hat. Ich frage ein paarmal, was es ist, aber er will nicht
antworten. Ich habe keine Recht, es zu wissen. Ich fühle, daß dieses Etwas mich
kratzt,
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