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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf...
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Zimmer und haben uns unterhalten, das war alles.
    »Sie wollte nicht Tennis spielen gehen,
deswegen bin ich vorbeigekommen...«
    Aber der andere... mein Vater, tut, als
sei das fürchterlich. Als hätten sich eben zwischen Franck und mir ungeheure
Dinge abgespielt. Er brüllt, er wechselt die Farbe. Er wirft meinen Liebsten
kurzerhand zur Tür hinaus.
    Er sagt, daß wir zusammen geschlafen
haben! Das sagt er! Er weiß genau, daß es nicht stimmt. Daß wir zu jung sind,
um es zu tun. Selbst Franck, der fünfzehn ist, ist zu jung. Wir haben nie
darüber gesprochen. Er hat ihn hinausgeworfen, und der arme Franck hat
sicherlich nichts verstanden. Jetzt wird er glauben, daß ich etwas Schlimmes
getan habe. Aber was denn? Herrgott noch mal! Was? Was habe ich Schlimmes
getan?
    Warum schreit er so?
    Schon wieder bin ich mit ihm allein.
Dieses Spiel gewinnt er immer. Ich kann mir noch so viele Listen ausdenken, die
Stunden genau einteilen, trickreich sein, immer gewinnt er. Diesmal habe ich
solche Angst, daß ich nicht einmal verstehe, was er schreit, wobei er mich mit
seinem Blick fast tötet. Er kommt auf mich zu, mir wird es ganz mulmig. Das
hindert mich daran, zu denken und die Schimpftiraden zu hören, die immer weiter
auf mich niederprasseln. Er stürzt zum Fenster und schließt die Vorhänge. Was
hat er? All das ist blödsinnig. Wir sind im Zimmer meines kleinen Bruders, am
hellichten Tage, und er schließt die Vorhänge. Das Zimmer ist ganz dunkel. Ich
habe Angst vor der Dunkelheit. Ich sehe keine Gegenstände mehr, alles
verschwimmt im Dunkeln, als würde ich im Meer versinken und ertrinken. Wenn ich
nichts mehr um mich herum sehe, wird mir schwindlig. Nichts mehr, um mich mit
den Augen daran festzuhalten, um mich aufrechtzuhalten. Ich will Licht, ich
brauche es, um mich zu wehren, zu verteidigen. Im Dunkeln bin ich völlig
hilflos. Jetzt höre ich, was er schreit, wobei er immer näher kommt.
    »Hure! Kleines Hurenstück! Schlampe!«
    Glaubt er wirklich, ich hätte etwas
Schlimmes mit Franck gemacht? Das ist doch nicht möglich. Was ist eine Hure?
Eine Schlampe, das bin ich, das hat er mir schon gesagt, aber eine Hure.
    »Ich erwürg’ dich, Hurenstück!«
    Fast könnte man meinen, er leidet. Daß
ich ihm weh getan habe mit dieser Geschichte mit Franck, die es noch nicht
einmal gibt. Vielleicht leidet er, aber er weint nicht. Er hat eine tiefe,
trockene Stimme, ich höre in der Dunkelheit:
    »Zieh dich aus!«
    Ein kleines Licht dringt durch die
Vorhänge, ich halte mich daran fest so gut ich kann, um zu gehorchen. Er
entfernt seinen Hosengürtel. Ich weine so heftig, daß ich zittere, als ich
meine Kleider ablege; fast gelingt es mir nicht.
    »Zieh dich aus, hab’ ich gesagt!
Alles!«
    Ich schäme mich meiner Nacktheit. Es
ist furchtbar schwierig, nackt zu sein. Wenn ich nackt bin, fühle ich mich wie
ein Blatt, das der Herbstwind von einem Baum reißt, man wird darauf treten. Es
ist nichts mehr. Ganz nackt.
    Ich bin schamhaft. Ich zeige mich nicht
gern, selbst in der Turnstunde, auch nicht den Freundinnen.
    Warum hört er nicht auf, so zu
schreien? Er zwingt mich, niederzuknien, ich sehe, wie sich der Ledergürtel
über mir hebt, dann herunterfällt. Er hat mich auf die Brust geschlagen. Er
beginnt von neuem, und er sieht jetzt zufrieden aus. Er schlägt, als bereite
ihm das Vergnügen. Er brüllt nicht mehr. Er schlägt ohne Unterlaß, ganz
gleichmäßig. Ich beiße die Zähne zusammen, ich beiße mir in die Lippen, um
nicht loszuschreien; mit beiden Händen packe ich meine Haare, ich ziehe an den
Flechten. Ich weiß, er will nicht, daß ich schreie. Wenn ich schreie, wird er
mir noch mehr weh tun. Man darf nichts hören, nichts von dem wissen, was er mit
mir im Dunkeln macht. Er ist glücklich. Ich sehe das, weil ich ihn nicht aus
den Augen lasse, und die leuchten. Ich folge ihnen bei jedem Schlag mit dem
Ledergürtel, er sieht wohl, daß ich weine, daß ich leise immer weiterweine, und
er hört nicht auf, mich zu verprügeln. Von Zeit zu Zeit höre ich »dreckige
Hure«.
    Ich bin seine dreckige Hure. Diesen
Blick, ich werde ihn niemals vergessen können. Er lehrt mich, daß ich die
kleine Hure meines Vaters bin und daß mein Vater das mag. Er liebt es zu
schlagen. Er hat es gern, daß ich seine Hure bin. Er ist widerwärtig. Ekelhaft.
Abscheulich.
    Ich schlage aufs Geratewohl die Arme
übereinander, über irgendwelchen Körperteilen, um seinen Schlägen auszuweichen,
aber es prasselt weiter Schläge. Er hat
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