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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf...
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Sekretärin, seine rechte Hand, seine Buchhalterin. Ich hab’ das
gern, weil es mich älter macht, ich habe den Eindruck, wichtig zu sein, wie
eine Erwachsene. Wenn meine Mutter nur nicht dazwischenfunkte, wäre alles
bestens. Sie sagt, es werde bei Schulbeginn schwierig werden. Was kümmert mich
der Schulbeginn! Der ist in zwei Monaten. In zwei Monaten werde ich
unentbehrlich sein und abends arbeiten wie er. Er hat nicht genug Geld, um
einen Buchhalter zu bezahlen, damit wäre der Gewinn futsch. Ich werde ihm
helfen, Gewinn zu machen. Das ist gut.
    Ich kann nicht wieder einschlafen wegen
dieser Geschichte mit Franck. Und wie er mir die Haare gestreichelt hat.
Gewöhnlich sind Zärtlichkeiten bei ihm eher selten. Ich bitte ihn auch nie
darum. Ich warte darauf, daß er mich fragt. Ich weiß nicht warum. Trotzdem
bewundere ich, liebe ich meinen Vater. Ich habe es Franck gesagt. Manchmal hört
man, Mädchen seien in ihren Vater verliebt, aber ich nicht. Ich finde ihn toll.
Ich habe Respekt vor ihm, ich will werden wie er.
    Mit Franck ist es anders, er ist meine
erste Liebe, wie es heißt, aber wir haben vor allem eine Vorliebe: Tennis. Wir
spielen immer zusammen, und Papa ist oft da, um uns zuzusehen. Also, was glaubt
er eigentlich? Warum fragt er mich, ob Franck besondere Dinge mit mir macht?
    Ich muß schlafen und vergessen. Aber
ich kann nicht. Diese besonderen Dinge sind wohl schmutzig. Er denkt, ich mache
schmutzige Dinge mit Franck. Wie soll ich ihn überzeugen, daß er sich irrt? Ich
werde ihm doch nicht sagen, daß Franck seine Hand irgendwohin legt, eben da...,
wo er sagt, daß er sie hinlegt. Auf die Brust und überall.
    Ich bin aufgeregt. Nervös. Ich muß
geschlafen haben, ohne es zu merken, und habe den Tag genauso verbracht wie
eine Schlafwandlerin, habe Dinge getan, die man in den Ferien tut. Aber jetzt
ist es wieder Nacht. Und ich habe Schiß. Ich fühle, daß er wiederkommen wird.
Es ist neun Uhr abends, ich ängstige mich zu Tode. Ich schaue zum Himmel und
will mit ihm sprechen. Denn ich spreche oft mit dem Himmel, er ist ein Freund,
ein richtiger. Der einzige Freund, mit dem ich stundenlang reden kann, ohne daß
er mir widerspricht. Das ist wichtig für ein kleines Mädchen. Wenn ich eine
gute Note haben will, bitte ich ihn darum, und er macht mir eine Freude, indem
er sie mir gewährt.
    Aber diesmal spüre ich, daß es nicht
klappen wird. Als wenn ich den Himmel um etwas bäte, das er mir nicht geben
kann. Was ich will, hängt nicht vom Himmel ab. Es hängt von meinem Vater ab. Er
darf nicht wiederkommen, er muß mich in Ruhe lassen. Ich verzichte liebend gern
darauf, daß er mir wieder das Haar streichelt und über diese schmutzigen Dinge
mit Franck spricht. Ich will nicht. Ich sage es meinem Plüschtier, aber ich
glaube, das wird nichts nützen.
    Er hat mich wieder geweckt, mein Vater.
Er setzt sich auf mein Bett. Diesmal habe ich wirklich Angst vor seinem
Gesichtsausdruck. Er hat böse Augen und zieht am Bettuch. Ich frage ihn, was er
in meinem Zimmer macht, und er spricht wieder von Franck. Er ist besessen
davon. Wieder streichelt er mein Haar, dann mein Gesicht, er will wissen, wo
Franck mich streichelt.
    Lieber Gott, Mama, habe ich Angst. Er
macht Dinge, die er sonst nie macht. Er umarmt mich, küßt mich auf den Hals,
legt seine Hände auf meine Arme, dann auf meinen Bauch. Das ist nicht normal,
ich kann das nicht zulassen. Ich winde mich, ich weiche an die Wand zurück, ich
krieche ans andere Bettende, aber er gibt nicht auf. Ich weiß, daß ich kein
Recht habe, nein zu sagen. Er haßt das. Er will, daß man gehorcht, ihm Respekt
zollt, sonst ist man ein Stück Dreck. Ich gehorche immer, weil ich glaube, es
ist wichtig, auf das zu hören, was er sagt. Aber hier kann ich es nicht. Ich
will, daß er verschwindet. Mein Gott, mach, daß er verschwindet, daß er
aufhört, mich überall so zu begrapschen.
    »Laß das, Papa, ich will nicht! Du
siehst doch, daß ich nicht will! Ich will, daß du mich in Ruhe läßt.«
    Er hört nicht oder tut so, als hörte er
nicht. Ich hab genug von diesem Zirkus. Er versucht ständig, weiterzugehen,
will meine Brust anfassen, ich hab’ fast noch keine, sie ist noch kaum
entwickelt. Ich trage noch nicht einmal einen Büstenhalter. Nächstes Jahr, wenn
ich in die fünfte Klasse komme, wird Mama mir sicher einen kaufen. Jetzt soll
er aber wirklich verschwinden!
    »Papa, hau bitte ab!«
    Ihm fällt nicht einmal meine
Ausdrucksweise auf. Gewöhnlich sage ich nicht
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