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Ich und Earl und das sterbende Mädchen: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Ich und Earl und das sterbende Mädchen: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Ich und Earl und das sterbende Mädchen: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Jesse Andrews
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war irgendwie anders.
    Es war einfach etwas, das ich begriffen, aber nie richtig begriffen hatte, falls ihr wisst, was ich meine. Ich meine, man kann mit dem Verstand nachvollziehen, dass jemand stirbt, ohne dass man es gefühlsmäßig richtig kapiert hat, und wenn man es dann doch kapiert, fühlt man sich total mies.
    Das also hatte ich nicht begriffen, bis ich wie ein Idiot dasaß und ihr dabei zusah, wie sie tatsächlich starb und es zu spät war, um irgendwas zu sagen oder zu tun. Ich konnte nicht fassen, dass ich so lange gebraucht hatte, um es auch nur annähernd zu verstehen. Das hier war ein menschliches Wesen, und es starb. Es war das letzte Mal, dass es jemanden mit diesen Augen und diesen Ohren und dieser Art, durch den Mund zu atmen, geben würde, mit dieser Art, sich in ein schallendes Gelächter hineinzusteigern und kurz vorher ganz weit die Augenbrauen hochzuziehen und leicht die Nasenflügel zu blähen. Es war das letzte Mal, dass es diesen Menschen auf der Welt geben würde, und jetzt, wo dieses Leben fast vorbei war, kam ich damit nicht klar.
    Ich hatte gedacht, dass wir einen Film über eine Sache gedreht hätten – den Tod – , von der wir nichts verstanden. Vielleicht verstand Earl irgendwie ein bisschen was davon, aber ich wusste absolut nichts darüber. Ich hatte auch geglaubt, dass wir einen Film über ein Mädchen gedreht hätten, das wir nie richtig kennengelernt hatten. Aber im Grunde ging es in dem Film gar nicht um sie. Sie starb einfach nur, das war’s, und wir hatten nichts anderes getan, als einen Film über uns selber zu drehen. Wir hatten einfach nur dieses Mädchen benutzt, um einen Film über uns zu machen, und das fand ich einfach dermaßen dumm und verlogen, dass ich nicht aufhören konnte zu weinen. Rachel – der Film handelt kein bisschen von Rachel. Er handelt davon, wie wenig wir über Rachel wissen. Wir waren so was von lächerlich arrogant, als wir uns anmaßten, einen Film über sie zu drehen.
    So saß ich also da und wünschte mir die ganze Zeit wie verrückt, dass Rachel aufwachen und mir einfach alles erzählen würde, was sie je gedacht hatte, damit es irgendwo aufgezeichnet werden konnte und nicht verlorenging. Ich ertappte mich dabei, wie ich dachte, und was ist, wenn sie ihren letzten Gedanken schon gedacht hat, was ist, wenn ihr Gehirn schon keine bewussten Gedanken mehr produziert, und das war so schrecklich, dass ich vollends losheulte und grässliche Schluchzlaute von mir gab, wie ein Seeelefant oder so was, etwa so: HURNG HURNG HRUNNN .
    Denise saß nur versteinert da.
    Gleichzeitig, und dafür hasste ich mich, wurde mir klar, wie ich den Film hätte machen sollen, dass er so viel von Rachel wie möglich hätte aufbewahren müssen – wir hätten idealerweise ihr Leben lang tatsächlich eine Kamera auf sie richten und zusätzlich eine in ihrem Kopf einbauen müssen, und es verbitterte mich und erfüllte mich mit so einer Scheißwut, dass all das unmöglich war und sie einfach verlorengehen würde. Als wäre sie nie da gewesen und hätte nie irgendetwas gesagt und mit den Leuten gelacht und keine Lieblingswörter gehabt und so eine Art, mit den Fingern zu fuchteln, wenn sie unruhig wurde, und spezifische Erinnerungen, die ihr plötzlich durch den Kopf gingen, wenn sie etwas Bestimmtes aß oder einen bestimmten Geruch wahrnahm, dass bei ihr, keine Ahnung, Geißblatt einen bestimmten Sommertag heraufbeschwor, an dem sie mit einer Freundin spielte oder so einen Scheiß, oder wie der Regen auf der Frontscheibe am Auto ihrer Mutter für sie aussah wie Alienfinger oder was auch immer , und als hätte sie nie Fantasien über diesen blöden Hugh Jackman gehabt oder Vorstellungen davon, wie ihr Leben am College aussehen würde, oder ihren ganz einmaligen Blick auf die Welt, den sie nie einem anderen Menschen mitgeteilt hatte. All das und alles andere, was sie je dachte, würde einfach verlorengehen.
    Und bei Rachel – der Film hätte es doch eigentlich darum gehen müssen zu zeigen, was für ein entsetzlicher und beschissener Verlust das Ganze war, dass sie eine Person mit einem langen fantastischen Leben geworden wäre, wenn man ihr erlaubt hätte weiterzuleben, und dass das hier ein so bescheuerter und sinnloser Verlust war, ein total arschiger Verlust, ein Verlust Verlust Scheißverlust, der einfach so was von beschissen sinnlos war, aus dem nichts Gutes erwachsen konnte, und da saß ich nun und dachte an den Film und wusste, dass er eine Szene enthalten müsste,
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