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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
Autoren: Kelle Groom
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um den Hals. Ich spielte die Platte immer wieder, prüfte, wie viel aus den Flaschen mit Alkoholischem weg war, in welcher es am wenigsten auffallen würde. Ich brachte mir eine Flasche mit und füllte etwas von ihrem Alkohol ab, um ihn später mit Sharee, meiner besten Freundin, zu trinken. Solange man noch nicht sechzehn war, war es richtige Arbeit, wenn man nicht auf einer Party war und etwas Alkoholisches zu trinken haben wollte. Wir mussten jemanden finden, der es für uns kaufte, oder uns als älter ausgeben, um selbst etwas zu kaufen. Wir gingen mit den anderen Jugendlichen, die auf dem Stützpunkt wohnten, mit Kathy oder ihren Freunden von der Band, über die Straße zum Strand. Saßen am Meer, reichten eine Flasche herum. Nur das Geräusch der anrollenden Wellen. Ich mochte nie allein trinken. Es ist Juni 1976 , das Jahr, in dem ich meinen ersten durch Alkohol verursachten Filmriss hatte. Ich war gerade fünfzehn geworden.
    Im Jahr davor hatte ich zum ersten Mal Alkohol probiert, und ich war betrunken gewesen, aber nie besinnungslos betrunken. Es findet eine Party statt, ich komme spät. Sharee und Kathy sind schon da. »Du hast Nachholbedarf«, sagt Kathy. Sie macht den Schrank unter der Spüle auf, holt mehrere Flaschen heraus und stellt sie auf die Theke. In einem hohen Saftglas mischt sie mir ein Getränk mit Zeug aus sieben Flaschen.
    Ich liebe das Brennen, liebe es, dass der Drink fast untrinkbar ist – eine Mischung, die mich verändert, mich furchtlos macht. Das Glühen, das durch meinen Körper fließt, wie der Mond auf dem Meer. Bevor ich das Bewusstsein verliere, küsse ich den Freund meiner besten Freundin. Ein Mädchen rennt schreiend die Straße entlang. Stunden später komme ich zu meiner Haustür. Es ist fast zwei Uhr nachts. Immer noch heiß, schwül. Ein Freund von Sharee hat mich nach Hause gebracht. Er ist groß, zum Anlehnen geeignet. Sein Gesicht glänzt in der Hitze. Das Außenlicht schaltet sich über unseren Köpfen ein. Mein Vater öffnet die Tür. Außer sich vor Wut.
    Er hat mich noch nie betrunken gesehen, aber er kommt aus einer Familie von Alkoholikern. Seine Mutter, einige seiner Geschwister, andere Verwandte, die ich nicht kenne. Ein Vater, der ihn geschlagen hat. Als Kind war er Epileptiker, und ich dachte immer, das lag daran, dass er geschlagen worden war. Die epileptischen Anfälle hörten auf, als er älter war (und die Schläge aufhörten). Ein Verwandter war als Kind blind, konnte aber später, als er älter wurde, sehen. War es möglich, dass Blindheit und Epilepsie Nebenwirkungen von Gewalt waren? Versucht der Körper so, damit fertigzuwerden? Alkoholismus und Gewalt sind in der Familie meines Vaters anscheinend gekoppelt. Viele Jahre später erfahre ich, dass der Vater meines Dad gar nicht sein richtiger Vater ist, dass sie nicht blutsverwandt sind. Und die Geschwister meines Vaters, die das Groom-Blut haben – sein Halbbruder wurde bei einem Kneipenkampf erstochen, seine Halbschwester ist nach lebenslangem Trinken behindert –, scheinen nur geringe Überlebenschancen zu haben. Mein Vater ist mit uns aus seiner Heimatstadt weggezogen, und zu den meisten seiner Verwandten haben wir kaum Kontakt. Wir halten uns fern von ihnen. Mein Vater hat eine nette Familie, eine lernbegierige, stille Tochter. An dem Abend, als er die Haustür öffnet und mich betrunken, auf einen schwitzigen Jungen mit wirrem Haar gestützt sieht, muss es ihm vorkommen, als wäre ich aus seiner Heimatstadt erstanden, aus der Mitte derer, vor denen er geflohen ist.
    Das Gesicht meines Vaters ist so finster, dass ich weiß, ich habe nur wenige Augenblicke. Ich lasse den Jungen an der Tür stehen, renne an meiner Mutter in ihrem langen, hochgeschlossenen Nachthemd vorbei, eine winzige, regungslose Gestalt, viktorianisch, entsetzt. Ich renne den schmalen, unbeleuchteten Flur entlang und hoffe, ich schaffe es in mein Zimmer, bevor mein Vater mich erwischt. Das Zimmer meines Bruders ist am Ende des Flurs, noch hinter meinem. Seine Tür geht auf. Ich schlage meine zu und drehe den Schlüssel in dem Moment um, da mein Vater mit der Faust gegen die Tür schlägt. So laut ist der Schlag, dass ich einen Satz mache, als hätte er mich persönlich geschlagen. Ich atme aus. Es ist ganz klar, dass ich die Tür nicht aufmachen darf. Die Stimme meines Bruders leise im Hintergrund. Erst verschlafen, dann lauter und besorgt. Die erregte Stimme meines Bruders, gedämpft unter dem Trommeln der Fäuste meines
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