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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
Autoren: Kelle Groom
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abgewendet, und er fragte mich, warum wir nicht verhüten müssten. Ich sagte, ich sei schwanger. Auch wenn es seltsam scheint, aber er hielt zu mir, dieser Mann, der immerhin seine Freundin betrog. Er umarmte mich noch fester, als ich sagte, ich sei schwanger, und blieb auch dann bei mir, als sich mein Bauch rundete. Fremde in Bars gratulierten ihm zu dem Baby. Beim ersten Mal stutzte er, aber dann ging er darauf ein. Lächelte, bedankte sich. Es war die normalste Beziehung in meinem Leben. Das war jetzt ein Jahr her.
    Seit der Geburt kann ich nicht schnell genug ausreichend viel trinken. Ich trinke jeden Abend Whiskey, zwölf bis vierzehn Gläser. Bier dauert zu lange. Jeden Abend will ich irgendwo hingelangen, und einzig die Tatsache, dass ich die Besinnung verliere oder mich übergeben muss, kann mich hindern. Es gibt keinen Grund aufzuhören.
    Ich mag die Zurückgezogenheit des Sängers, den leisen Klang seiner Stimme. Später, ich bin in einer Gruppe und versuche, mit dem Trinken aufzuhören, sagt eine junge Frau: »Mit jemandem zu schlafen schien eine gute Möglichkeit, den Menschen kennenzulernen.« Das leuchtete mir ein. Ich finde ihn auch attraktiv, weil er singen kann. Ich habe ihn vom Saal aus gesehen. Aber die meiste Zeit bin ich betrunken, und betrunken halte ich es nicht aus, allein zu sein. Auch wenn er nicht so freundlich gewesen wäre, nicht so anziehend, wäre ich wahrscheinlich mit ihm gegangen; es war Ablenkung und Trost. Gesellschaft.
    Ich weiß nicht, was mit meinem Sohn ist, besonders seit er so krank ist. Niemand erzählt es mir. Meine Tante und mein Onkel haben meinen Eltern erzählt, Tommy habe Leukämie und sei in Behandlung. Meine Eltern sprechen darüber. Mein Gefühl sagt mir, dass ich kein Recht habe, Fragen zu stellen. Als wäre ich eine Peinlichkeit. Eine Geistermutter. Auf gar keinen Fall kann ich meine Tante und meinen Onkel anrufen. Ich möchte fragen: »Was ist mit ihm? Wie geht es ihm?« Es kann nicht sein, dass er stirbt. Es gibt so viel Grundlegendes, das ich nicht weiß. Hat er Schmerzen? Ich biete dem Mann aus Kentucky an, ihn nach Hause zu fahren.
    In seinem Zimmer fragt er mich, ob ich etwas rauchen möchte. »Meinetwegen«, sage ich. Wir sitzen auf seinem Bett und gucken auf einen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher. Er knistert. Haschisch ist für mich zu still, zu langweilig, aber es abzulehnen ist nicht freundlich. Ein riesiges, künstlich aussehendes prähistorisches Tier jagt Tausende von winzigen Japanern durch die Straßen Tokios. Bei Schwarz-Weiß-Filmen werde ich immer müde und fühle mich irgendwie beraubt, die Zeit vor dem Farbfernsehen. Als Kind hatte ich Asthma, ich musste oft zu Hause bleiben und habe im Fernsehen alte Filme geguckt. Vor dem Fernseher fühle ich mich auch jetzt wieder als die Genesende. Er schaltet die Tischlampe an. Eine Straßenlaterne auf dem Parkplatz wirft ihr Licht an den Vorhang. Auch der Fernseher ist ein Licht, mit Schnee.
    Mir gefällt, dass er so lange Haare hat, als käme er aus der Vergangenheit. Wir könnten in der Vergangenheit sein. Bevor ich Tommy weggegeben habe. Bevor Tommy krank wurde. Aber das sind wir nicht – es ist März 1982 . Ich versuche aufzustehen, aber meine Muskeln sind nicht kräftig genug, sie können mich nicht heben und schon gar nicht zur Tür hinaustragen. Haschisch hat noch nie diese Wirkung auf mich gehabt, vielleicht ist noch etwas anderes drin. Ich frage ihn nicht. Es ist nach zwei Uhr morgens. Ich rutsche auf der dünnen Tagesdecke langsam nach hinten, bis ich meinen Kopf auf dem Kissen spüre. Nehme ein lauwarmes Bier vom Nachttisch. Ich weiß nicht, wie das dahin kommt. Habe ich es mitgebracht? Trinke einen Schluck, mache die Augen zu. Ich bin froh, dass der Mann so entspannt ist, froh, dass wir uns zugedröhnt haben. Godzilla poltert herum – er war furchterregend, als der Film neu war. Das war nur wenige Jahre nachdem die USA Hiroshima und Nagasaki bombardiert hatten. In einer Zeitschrift habe ich das Foto von einer Frau gesehen, die eins der Opfer in einem runden Holzbottich badet. Dem Opfer sind von dem nuklearen Luftsturm Gliedmaßen abgerissen worden. Vielleicht waren es auch Geburtsschäden nach dem Bombenabwurf, eine Spätwirkung. Aber ich sehe nur, wie die Frau den Verstümmelten zärtlich hält, auch das Licht ist zärtlich, gelb auf ihrer Haut, dem Holz, dem Wasser. Sie sieht aus, als würde sie singen, als wäre ihr Lied das Bad.
    Godzilla ist ein Monster, das die Geschichte verschlief,
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