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Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Titel: Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
Autoren: Eveline Hall , Hiltud Bontrup , Kirsten Gleinig
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Geld für die Bahn zu sparen. Stunden dauerte das, also blieb ich über Nacht bei ihr. Es war wie Nachhausekommen. Morgens lief ich über die Straße zum Bäcker, kaufte Schrippen, die frisch vom Ofenblech in die Holzkiste fielen, und dann frühstückten wir in der Wohnküche, die ich so gern mochte. Oma lebte von der Hand in den Mund. Sie arbeitete als Schreibkraft in einem Büro und putzte nebenbei, um noch etwas dazuzuverdienen. Es reichte gerade zum Überleben und doch fehlte uns nichts. Mit Geld hatte das nie etwas zu tun. Geld hatten wir nie. Wir waren reich an Gefühlen.
    Oma nähte noch immer alle Kleider für mich, und das mit so viel Liebe. Sie zeigte mir, wie sie mit Nadel und Faden die tollsten Dinge zauberte, und ich schaute ganz genau zu. Alles, was sie genäht hatte, war mir ganz besonders wichtig. Ich hatte immer Angst, dass es mir jemand kaputt machen oder wegnehmen könnte. Und ich war stolz, wenn ich in meinem schönen Mantel vor die Tür trat und dachte: »Den hat Oma für mich gemacht.«
    Ich fühlte mich mit ihr besonders verbunden. Schon äußerlich, denn sie ist die Einzige in der Familie, der ich ähnlich sehe. Und Oma hätte sich das Herz herausgerissen, um mir etwas Gutes zu tun. Tief in mir wusste ich, dass ich jederzeit zu ihr hätte gehen können. Zur Not wäre ich den langen Weg mit meinen fünf Jahren allein gelaufen. Das traute ich mir durchaus zu.

Du bist es

    1951 kam meine Mutter nach Berlin, um mich zur Einschulung nach Hamburg zu holen. Zusammen verbrachten wir die letzte Woche bei Oma im Retzbacher Weg. Ich freute mich zwar, Mami endlich wiederzuhaben, aber ich wollte in Berlin bleiben. Ich konnte mir gar nichts anderes vorstellen als mein Zille-Kind-Leben. Oma nähte mir in diesen Tagen ein feines Kleid für die Schule, doch es machte mir überhaupt keine Lust auf das, was vor mir lag.

    Und dann betrat ich mein neues Zuhause: Hamburg-Eppendorf, Beim Andreasbrunnen 8. Meine Eltern waren mit meinem Bruder bei Familie Boesche untergekommen. Die war, wie viele nach dem Krieg, dazu verpflichtet worden, ausgebombte Menschen aufzunehmen. In Boesches großer Wohnung hatten wir anderthalb Zimmer. Das war zu dritt schon eng gewesen und nun kam noch ich dazu. Es war so ärmlich! Meine Eltern hatten vieles von Freunden bekommen, denn Geld besaßen sie damals keins. Und so gab es auch keine richtigen Möbel. Ich sehe noch heute alles vor mir: das Metallbett auf Blöcken aus Stein, den geliehenen Teppich, den Vorhang, hinter dem wir uns in einer Waschschüssel wuschen. Und den Balkon, auf dem meine Mutter in der kalten Jahreszeit die Lebensmittel lagerte.
    So mussten wir uns arrangieren. Auch im Zusammenwohnen mit Boesches. Mein Vater fand sich leicht in neue Umstände hinein, doch meine Mutter tat sich schwer. Sie hatte ständig Angst anzuecken, wollte nicht auffallen. Auch wir mussten immer leise sein und als Kinder verstanden wir natürlich gar nicht warum. Dahinter steckten die »Eppendorfer Bestimmungen«. Das waren Regeln, die vorschrieben, wie viel Zeit man in der Küche verbringen durfte, wann Ruhe zu herrschen hatte, wann geputzt werden musste – bis zum Türklinkenpolieren war alles haarklein aufgelistet. Und Mami hielt sich ganz genau daran. Sie wartete ab, bis gerade niemand in der Küche war, erledigte dann alles blitzschnell und war genauso fix wieder hinter unserer Zimmertür verschwunden. Frau Boesche wunderte sich wohl, dass sie von uns überhaupt nichts mitbekam, und fragte eines Tages: »Haben Sie Heinzelmännchen?« Da war das Eis gebrochen und nun wurde gemeinsam in der Küche gewerkelt. In ihrer Zurückhaltung hatte Mami auch nichts von mir erzählt, und als meine Einschulung näher rückte, sagte sie zu Frau Boesche: »Ich muss noch mal nach Berlin. Ich habe noch ein zweites Kind.« – »Sie haben was?« Frau Boesche fiel aus allen Wolken. Jetzt sollten die paar Quadratmeter für vier Leute reichen! Später, als meine Eltern sich mit Boesches angefreundet hatten, wurde das zum Witz zwischen ihnen. Als meine Mutter irgendwann sagte: »Ich wollt noch mal nach Berlin«, fragte Frau Boesche: »Holen Sie Ihr drittes Kind?«

    Weil es bei uns so eng war, fühlte ich mich mit meinem Freiheitsdrang in den anderthalb Zimmern eingesperrt. Schiepchen war anders. Er war sensibel und hockte viel mit Mami zusammen. Aber ich, ich war kämpferisch. Ich wollte mich austoben. Sobald meine Eltern sich zum Nachmittagsschlaf zurückzogen, lief ich runter auf die Straße und erkundete
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