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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Clark
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weiß genau, dass Tini nichts mit Pauls Tod zu tun hat.«
    »Die Polizei scheint es in Betracht zu ziehen.« Ronnie streckte seine Hand nach dem Foto aus. »Das muss sie sogar, bei den Aussagen, die deine Schwester öffentlich von sich gegeben hat.«
    »Du weißt, dass sie dazu nicht fähig wäre.« Sara reichte ihm das Foto. Er warf einen kurzen Blick darauf und gab es ihr zurück.
    »Was willst du mit dem Foto?«
    »Nichts.« Sie legte es auf ihren Schreibtisch. »Aber ich werde nicht tatenlos zusehen, wie Tini für etwas eingesperrt wird, was sie nicht getan hat.«
    Er runzelte die Stirn. »Du willst auf eigene Faust ermitteln?«
    Ermitteln. Wie das klang. Aber wenn er es so nennen wollte. »Ich hatte gehofft, du würdest mir helfen, mich umzuhören.«
    »Du bist ja völlig übergeschnappt! Nehmen wir an, deine Schwester ist wirklich unschuldig und irgendjemand hat Paul getötet. Glaubst du im Ernst, der wird dir tatenlos beim Herumschnüffeln zusehen? Was, wenn du uns auch noch in Gefahr bringst?« Er zeigte ihr einen Vogel. »Überlass die Angelegenheit mal schön den Leuten, die dafür qualifiziert sind. Du würdest alles nur noch schlimmer machen.« Jetzt erhob auch er sich. Er sah ihr direkt in die Augen.
    »Ich werde Tini nicht im Stich lassen.«
    Wortlos verließ er das Arbeitszimmer. Sie hörte, wie er im Bad den Spiegelschrank zuknallte und den Zahnputzbecher mit einem lauten Klacken auf dem Waschbecken absetzte. Sara seufzte und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. Hätte sie diplomatischer sein können? Ihn irgendwie ködern? Aber wie? Wie sollte das funktionieren bei jemandem, der Sprudelkisten nur trug, wenn er Stahlkappenschuhe anhatte für den Fall, dass sie ihm auf die Zehen fielen? Bei jemandem, der Joghurt bereits zwei Tage vor dem Verfallsdatum nicht mehr aß? Er würde sie nie bei etwas unterstützen, das auch nur andeutungsweise gefährlich klang. Aber wie groß konnte diese Gefahr schon sein?
    Und wenn er sich auf den Kopf stellte. Tini brauchte sie. Nur, wenn Tini Paul nicht umgebracht hat, wer konnte es dann gewesen sein?

14
    Lydia nahm immer zwei Stufen auf einmal. Auf der letzten wartete sie, bis das Licht das erste Mal ausging, und schaltete es wieder an. Dann sprintete sie über den schmalen Flur. Vor ihrer Wohnung fuhr sie vorsichtig mit dem Finger am Türrahmen entlang, bis sie den feinen, fast unsichtbaren Seidenfaden spürte. Ihre Schultern senkten sich, und sie fühlte, wie die Anspannung aus ihnen wich. Dann griff sie in ihre Manteltasche und zog einen Schlüsselbund heraus.
    Sie schloss die Tür auf, trat ein, verriegelte die Tür wieder und legte die Sicherheitskette vor. Dann erst machte sie Licht. Sie hängte ihren moosgrünen Parka an den dreizackigen Garderobenhaken, nahm den Baseballschläger aus dem Schirmständer und stand mit drei Schritten mitten in der Küche, wo sie sich umschaute, bevor sie ihn an die Wand lehnte.
    Seufzend betrachtete sie das Geschirr, das sich in der Spüle stapelte. Sie machte den Reißverschluss ihres Rucksacks auf und entnahm ihm eine Flasche Spülmittel und ein zerquetschtes Päckchen mit unregelmäßigen roten Flecken an den Seiten. Einwandfrei. Der krönende Abschluss des Tages – Kirschstrudelmansche. Hoffentlich war die Seminararbeit nicht versaut. Sie entfernte das Papier, legte den Strudel auf den Tisch neben die Obstschale und griff noch einmal in den Rucksack. Auf dem Deckblatt des spiralgebundenen Hefts war ein klebriger roter Streifen, der sich vom Titel bis zum Rücken und über den seitlichen Buchblock zog.
    »Oh Mann!« Sie warf das Heft auf den Tisch, dass es knallte, und beobachtete, wie sich eine Orange aus dem Turm in der Obstschale löste, auf dem Strudel landete und dann langsam durch die herausgequetschte Kirschmasse über den Tisch rollte.
    »Na klar.« Sie griff die Orange und putzte sie ab. »Willst du mir was sagen? Vielleicht, dass ich lieber dich als die Kalorienbombe da drüben essen sollte?«
    Mit einer Hand fasste sie an den Verschluss ihrer schwarzen Cargohose und zog ihn einen Zentimeter von ihrem Bauch weg. »Nicht, solange der Knopf noch hält.«
    Geschickt fügte sie die Orange wieder in die Obstschale ein. Dann nahm sie ein Messer, schnitt den Verschluss des Spülmittels auf und spritzte die gelbe Flüssigkeit auf einen Schwamm. Das Zitronenaroma stieg in die Luft. Während sie die Essensreste vom Geschirr kratzte, überlegte Lydia, ob sie die Strudelleiche in warmer oder kalter Vanillesoße ertränken

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