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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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verkündete
Aba
, er hätte eine gute Nachricht für mich.
    »Nojoud, du wirst bald heiraten«, sagte er zu mir.
    Ich nickte gehorsam, ohne wirklich zu verstehen, was nun auf mich zukommen würde.

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3. Beim Richter
    R ichter Abdo kann sein Erstaunen kaum verbergen.
    »Du willst dich scheiden lassen?«
    »Ja!«
    »Aber … heißt das, dass du verheiratet bist?«
    »Ja!«
    Er hat feine Gesichtszüge und trägt ein weißes Hemd, das seine dunkle Haut hervorhebt. Als er meine Antwort hört, verfinstert sich seine Miene. Anscheinend kann er mir das nicht glauben.
    »In deinem Alter … Wie kannst du schon verheiratet sein?«
    »Ich will mich scheiden lassen!«, beharre ich in entschiedenem Ton, ohne auf seine Frage einzugehen.
    Ich verstehe nicht so recht, warum, aber kein einziger Schluchzer kommt aus mir heraus, während ich mit ihm spreche. Als hätte ich meinen Vorrat an Tränen bereits erschöpft. Ich bin zwar völlig aufgewühlt, doch ich weiß, was ich will. Ja, ich will dieser Hölle entrinnen. Ich habe genug davon, das alles still zu erdulden.
    »Aber du bist noch so jung und wirkst so zerbrechlich …«
    Ich sehe ihn an und nicke. Er beginnt, nervös an seinem Schnurrbart zu zupfen. Wenn er doch nur bereit wäre, mir zu helfen! Schließlich ist er Richter und hat sicher viel Macht.
    »Und warum willst du dich scheiden lassen?«, fragt er weiter, diesmal in einem natürlicheren Tonfall, anscheinend versucht er, sein Erstaunen zu verbergen.
    Ich sehe ihm direkt in die Augen:
    »Weil mein Mann mich schlägt!«
    Von neuem erstarrt sein Gesicht, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Soeben hat er begriffen, dass mir etwas Schlimmes zugestoßen ist und dass ich keinen Grund habe, ihn zu belügen. Ohne Umschweife stellt er mir die entscheidende Frage:
    »Bist du noch Jungfrau?«
    Ich schlucke. Ich schäme mich, von diesen Dingen zu sprechen. Das ist peinlich. In meinem Land müssen Frauen zu Männern, die sie nicht kennen, Distanz wahren. Zudem sehe ich diesen Richter zum allerersten Mal. Doch im selben Augenblick wird mir klar, dass ich den Sprung ins kalte Wasser wagen muss, wenn ich aus alldem herauskommen will.
    »Nein … Ich habe geblutet …«
    Er ist schockiert, und ich habe den Eindruck, dass er plötzlich derjenige von uns beiden ist, der Angst bekommt. Seine Bestürzung entgeht mir nicht. Ich sehe genau, wie er versucht, seine Gefühle zu verbergen. Er atmet tief ein, dann sagt er:
    »Ich werde dir helfen!«
    Plötzlich wird mir ganz leicht zumute. Als ob mir ein Stein vom Herzen fällt. Endlich habe ich es geschafft, mich jemandem anzuvertrauen. Mit einer hektischen Bewegung sehe ich ihn nach dem Telefon greifen. Ich höre, wie er sich mit einer anderen Person, sicherlich einem Kollegen, austauscht. Während des Gesprächs wirbeln seine Hände in alle Richtungen. Er scheint entschlossen, mich aus meinem Alptraum zu befreien. Hoffentlich findet er eine endgültige Lösung für mich! Wenn ich Glück habe, handelt er schnell, sehr schnell, und ich kann schon heute Abend zu meinen Eltern zurückkehren und wieder mit meinen Geschwistern spielen. In ein paar Stunden werde ich geschieden sein. Geschieden! Wieder frei. Ohne Mann. Von der Angst befreit, bei Einbruch der Dunkelheit alleine mit dem Monster im Schlafzimmer zu sein. Von der Angst befreit, wieder und wieder die gleiche Qual zu erleiden.
    Ich habe mich zu früh gefreut.
    »Weißt du, Kleine, das kann länger dauern, als du denkst. Das ist eine heikle Angelegenheit. Und ich kann dir leider nicht garantieren, dass du gewinnst.«
    Der zweite Richter, der gerade hereingekommen ist, setzt meiner Vorfreude ein jähes Ende. Er heißt Mohammad al-Ghazi und ist der Gerichtspräsident, der oberste Chef, wie mir Abdo erklärt. Er wirkt verlegen. In seiner ganzen Laufbahn, so sagt er, sei ihm noch kein Fall wie der meine begegnet. Beide erklären mir, dass die Mädchen im Jemen oft sehr jung verheiratet werden, unter dem
gesetzlichen Mindestalter
von fünfzehn Jahren. Das sei eine alte Tradition, erklärt mir Abdo. Doch seines Wissens wurde für keine dieser frühzeitig geschlossenen Ehen in unserem Land eine Scheidung eingereicht. Denn kein Mädchen hat sich, so wie ich, bisher bis zum Gericht aufgemacht. Das sei eine Frage der Familienehre, sagen sie. Meine Situation sei außergewöhnlich. Und kompliziert.
    »Wir werden einen Anwalt finden müssen«, erklärt Abdo hilflos.
    Einen Anwalt, aber wozu denn? Wozu ist ein Gericht gut, wenn es nicht
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