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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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hier zwei Fernseher. Was für ein Luxus!
    »Fühl dich wie zu Hause«, sagt Saba mit sanfter, einladender Stimme.
     
    So kann also Familienleben aussehen. Zuerst hatte ich Bammel, dass sie mich neugierig anstarren würden, und jetzt gehöre ich schon zu ihnen. Ich fühle mich wohl! Sie geben mir das Gefühl, dass ich ihnen alles sagen kann. Ohne verurteilt zu werden. Ohne bestraft zu werden. An diesem Abend sitze ich im Schneidersitz im Wohnzimmer und habe zum ersten Mal die Kraft, meine Geschichte zu erzählen.

[home]
4. Die Heirat
    Februar 2008
    M it Mona verging die Zeit wie im Flug, wenn wir auf der Hayle Avenue flanieren gingen. Manchmal, wenn wir unsere Nasen zu lange an dem Schaufenster unserer Lieblingsboutique plattdrückten, verschwanden die Abendkleider hinter einem feuchten Beschlag, der sich vor unseren Augen bildete. Meine ganze Aufmerksamkeit galt stets einem weißen Hochzeitskleid, das an einer Schaufensterpuppe aus Plastik wie angegossen wirkte. Ein Kleid für eine Dame! Was für ein Gegensatz zu all diesen Frauen auf der Straße, die von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt waren.
    »
Inch’Allah – so Gott will –,
bekommst du so eins am Tag deiner Hochzeit«, flüsterte mir Mona zu, und ihre schelmischen Augen waren umrahmt von ihrem
niqab
, der ihr restliches Gesicht bedeckte, sobald sie aus dem Haus ging.
    Mona lächelte selten. Sie hatte nicht das Glück gehabt, ein fröhliches Hochzeitsfest zu erleben. Auf die Schnelle verheiratet, hatte sie nur ein blaues Kleid bekommen, und abgesehen von dieser einen Auskunft, antwortete sie immer ausweichend auf Fragen über die Umstände ihrer Heirat. Seit ihr Mann verschwunden war, hatte ich nichts mehr über ihn gehört. Ich stellte mir vor, dass er auf Reisen war, irgendwo, weit entfernt vom Jemen, doch hütete ich mich, mehr darüber erfahren zu wollen. Mona hatte es nicht gern, wenn man ihr Fragen darüber stellte. Sie begnügte sich damit, mir zuzuflüstern, sie wünsche mir, glücklich zu werden und einen liebevollen und respektvollen Mann zu bekommen.
    Ich hätte nie gedacht, dass dieser Tag so schnell kommen würde.
    Von der Heirat hatte ich keine klare Vorstellung. Für mich war es vor allem ein großes Fest mit einer Menge Geschenke, Schokolade und natürlich Schmuck. Ein neues Haus, ein neues Leben! Einige Jahre zuvor hatte ich schon einmal verschiedene Zeremonien von entfernten Vettern und Cousinen miterlebt. Es gab Musik und fröhliche Tänze. Unter ihren
balto
, den langen schwarzen Mänteln, waren die Frauen sehr elegant. Ihre Gesichter perfekt geschminkt, ihre Haare vom Friseur geglättet. Wie auf den Fotos der Shampoo-Fläschchen. Die Verführerischsten knipsten sich eine kleine schmetterlingsförmige Spange in den Pony. Ich hatte auf diesen Festen immer sehr viel Spaß! Ich erinnere mich an die Hennamuster, die die Hände und Arme der jungen Bräute zierten. Mit Motiven in Form von Blumen. Henna war schön. Ich sagte mir, dass auch ich eines Tages meine Hände mit Henna schmücken würde.
    Die Nachricht kam plötzlich und unerwartet. Als
Aba
mir ankündigte, dass nun ich an der Reihe sei, begriff ich nicht, was auf mich zukam. Anfangs nahm ich die bevorstehende Hochzeit fast erleichtert hin und sah sie als eine Art Notausgang. Zu Hause war das Leben unmöglich geworden. Seit
Aba
seine Arbeit bei der Stadtverwaltung verloren hatte, war es ihm nie wieder gelungen, eine Vollzeitstelle zu finden. Wir waren immer zu spät mit der Miete, und der Eigentümer drohte regelmäßig, uns hinauszuwerfen.
    Um Geld zu sparen, kochte
Omma
nur Reis mit Gemüseragout. Sie brachte mir neuerdings bei, ihr im Haushalt mitzuhelfen. Mit ihr bereitete ich das
shafout
zu, eine Art großen Pfannkuchen, auf den man mit Zwiebeln und Knoblauch verfeinerten Joghurt streicht, und den
bin-al-sahn
, eine köstliche Honignachspeise. Wenn mein Vater genügend Geld nach Hause brachte, schickte sie meine Brüder ein Hühnchen kaufen, das sie dann am Freitag, dem heiligen Wochentag des muslimischen Kalenders, kochte. Rotes Fleisch kam nicht in Frage, das war zu teuer. Das letzte Mal, dass ich mich erinnern kann,
fatah
, ein Rinderragout, gegessen zu haben, war bei meinem ersten Besuch in einem Restaurant, in das uns unsere Cousins eingeladen
     hatten, um das
Aïdfest
zu feiern. Wir durften sogar »Bebsi« trinken, ein schwarzes, kohlensäurehaltiges Getränk aus Amerika. Und als wir gingen, besprühte ein Ober meine Hände mit Parfum, als gehörte ich schon zu den
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