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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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einmal fähig ist, auf der Stelle eine Scheidung auszusprechen? Es ist mir völlig egal, ob ich ein außergewöhnlicher Fall bin. Sind Gesetze denn nicht dazu da, den Leuten zu helfen? Diese Richter sind ja ganz nett, aber ist ihnen klar, dass mich mein Mann, wenn ich ohne jegliche Sicherheit nach Hause komme, abholen wird und die Schikanen weitergehen? Nein, ich will nicht zu ihm zurück.
    »Aber ich will mich scheiden lassen!«, sage ich in beschwörendem Ton.
    Das Echo meiner Stimme lässt mich zusammenfahren. Ich habe wohl ein wenig zu laut gesprochen. Oder liegt es an den hohen Wänden, die wie ein Resonanzkörper wirken?
    »Wir werden eine Lösung finden, wir werden eine Lösung finden«, murmelt Mohammad al-Ghazi und rückt seinen Turban zurecht.
    Doch anscheinend macht ihm noch etwas anderes Sorgen. Soeben schlug die Uhr zweimal. Es ist vierzehn Uhr, also Büroschluss. Heute ist Mittwoch, und das Wochenende der Muslime steht vor der Tür. Das Gericht öffnet erst wieder am Samstag. Ich begreife, dass auch sie mich, nach allem, was sie eben gehört haben, ungern nach Hause schicken.
    »Kommt nicht in Frage, dass sie zurück nach Hause geht. Und wer weiß, was ihr noch alles passiert, wenn sie alleine in den Straßen umherirrt«, fährt Mohammad al-Ghazi fort.
    Abdo hat eine Idee: Ich könnte doch bei ihm zu Hause Unterschlupf finden. Noch immer scheint er meine Geschichte nicht verdaut zu haben und ist zu allem bereit, um mich aus den Klauen meines Mannes zu retten. Doch er nimmt sein Angebot gleich wieder zurück, als ihm einfällt, dass seine Frau und seine Kinder aufs Land gefahren sind. In unserer islamischen Tradition darf sich eine Frau nicht alleine bei einem Mann aufhalten, der nicht ihr
mahram
, also nicht direkt mit ihr verwandt ist.
    Was tun?
    Schließlich zeigt sich ein dritter Richter, Abdel Wahed, bereit, mich bei sich aufzunehmen. Bei ihm ist die Familie zu Hause, und sie haben Platz genug, um mich unterzubringen. Ich bin gerettet! Zumindest vorläufig. Abdel trägt ebenfalls einen Schnurrbart, doch er ist stämmiger als Abdo. Seine Nickelbrille verleiht ihm ein ernstes Aussehen, und in seinem Anzug wirkt er sehr imponierend. Ich traue mich nicht so recht, mit ihm zu sprechen. Doch ich reiße mich zusammen. Lieber überwinde ich meine Schüchternheit, als nach Hause zurückzugehen. Außerdem beruhigt es mich, dass er wie ein wirklicher
Aba
aussieht, der sich gut um seine Kinder kümmert. Nicht wie meiner …
    Sein Auto ist groß und bequem. Und sehr sauber. Es kommt sogar kühle Luft aus kleinen Ventilatoren, die vorne im Auto eingebaut sind. Das kitzelt mir im Gesicht und ist sehr angenehm. Während der Fahrt mache ich kaum den Mund auf. Keine Ahnung, ob das an meiner Schüchternheit liegt oder an meiner Bangigkeit, oder einfach daran, dass ich mich jetzt so gut fühle, weil plötzlich so viele um meine Sicherheit besorgt sind und weil ich Menschen gefunden habe, die bereit sind, mir zu helfen.
    Abdel Wahed bricht das Schweigen:
    »Du bist ein sehr mutiges Mädchen! Bravo! Mach dir keine Sorgen, es ist dein gutes Recht, die Scheidung zu beantragen. Vor dir standen schon andere Mädchen vor demselben Problem, aber sie haben es leider nicht gewagt, darüber zu sprechen. Wir tun unser Möglichstes, um dich zu schützen. Wir werden nichts unversucht lassen. Und wir werden dich auf keinen Fall zu deinem Mann zurückschicken. Niemals! Ehrenwort!«
    Meine Lippen formen sich zu einer Mondsichel. Es ist lange her, dass ich das letzte Mal gelächelt habe!
    »Vielleicht ist es dir noch nicht klargeworden, aber du bist ein außergewöhnliches Mädchen!«, fügt er bekräftigend hinzu.
    Ich werde rot.
    Als wir zu Abdel Wahed nach Hause kommen, stellt er mich sofort seiner Frau Saba und seinen Kindern vor. Ihre Tochter Shima dürfte drei bis vier Jahre jünger sein als ich. In ihrem Zimmer hat sie ganz viele Fulla-Puppen, die orientalische Version der blonden amerikanischen Barbie, von der die Mädchen im Jemen träumen.
    »Haram!«
    Das ist Shimas spontane Reaktion auf die Mitteilung ihrer
Omma
, dass ein böser Mann mich geschlagen habe. Die Kleine runzelt die Stirn und ahmt einen Erwachsenen nach, der dazu ansetzt, jemanden auszuschimpfen. Es berührt mich, dass sie so mitfühlend ist. Mit einem kameradschaftlichen Lächeln nimmt sie mich an der Hand und gibt mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich ihr folgen soll, um mit ihr zu spielen.
    Die vier Jungen schauen sich derweil Trickfilme an. Es gibt
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