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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich
Autoren: Jenn Ashworth
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nicht, ob es ist, weil auch sie etwas gewittert haben, oder weil die Menschen um sie herum plötzlich in Bewegung sind und sich lautstark um das kleine Loch drängeln. Die Kamera wackelt nicht, sondern schwenkt von der Meute auf das stille dunkle Wasser des Weihers.
    Das hat man davon, wenn man solche Sachen live überträgt. Unvorhergesehene Ereignisse. Alles bricht auseinander. Es war schon längst alles auseinandergebrochen, bevor der Bürgermeister den Boden aufschlitzte und einen Geruch freisetzte, der Terrys Wetterfee veranlasste, in die Büsche zu kotzen.
    Terry entschuldigt sich für die Unterbrechung und verspricht, schnellstmöglich einen Ü-Wagen rauskommen zu lassen, aber er müsse vorerst ins Studio zurückgeben.
    »Wir melden uns in Kürze wieder und informieren Sie darüber, was hier los ist«, sagt er. Er fährt sich mit der Hand durch die zerzausten Haare, zupft an seiner Krawatte und gibt zurück an Fiona, die auf ihrer Couch wartet, die Beine ordentlich verschränkt, die Knie zusammengepresst. Sie trägt ein teures camelfarbenes Kostüm und schwarze Lackpumps. Fiona ist scharf auf Terrys Job. Herrlich.
    »Das ist unser Terry. Er bewahrt grundsätzlich Ruhe in schwierigen Situationen, ein absoluter Profi«, sagt sie, und der Gelobte verbeugt sich fast. Fiona lächelt gekünstelt. »Und er ist wieder einmal der Erste am Schauplatz. Ich glaube, das kann noch ein langer Abend werden, nicht wahr, Terry?« Die Verbindung wird unterbrochen, bevor er eine Antwort geben kann, und Fiona bleibt nichts anderes übrig, als dem Logo der Sendung auf dem Monitor über ihrer Couch zuzunicken.
    »Wir sind gleich wieder da«, sagt sie, »nach einer kurzen Pause.« Die Werbespots sind so hektisch, grell und laut wie immer.
    Ich lasse den Blick zum Fenster wandern und schnuppere die Luft, die nach Chips und Kippen riecht und nach der feuchten Wäsche auf der kalten Heizung. Ich brauche nicht an der Mattscheibe zu kleben. Ich kann es mir anschauen, wann immer ich will. Es wird noch vor dem Morgengrauen auf YouTube sein. Ich mache mir einen Kaffee und gehe langsam zurück zu meiner Couch. Ich kann mir Zeit lassen, um mir eine Meinung zu bilden.
    Terry war absolut cool – obwohl das keine Überraschung ist. Er war in seinem Element, denn wenn er ein Element hat, dann sind das ungeklärte Todesfälle oder beschönigt dargestellte Vergewaltigungen. Fiona hatte recht: Terry ist immer der Erste am Schauplatz oder am Bildschirm und platzt geradezu vor schlechten Neuigkeiten. Fiona lauert schon seit Jahren auf seinen Job, aber er ist der Preisträger. Er ist derjenige, an den wir uns erinnern, wie er über den Sextäter berichtete, der vor zehn Jahren hier in den Parkanlagen sein Unwesen trieb – die öffentliche Aufmerksamkeit und seine Kampagne, sogar seine stillschweigende Billigung der Bürgerwehrgruppen, die plötzlich wie Pilze aus dem Boden schossen, haben angeblich stärker dazu beigetragen, dass die Überfälle aufhörten, als die Bemühungen der Polizei, die uns nie einen Namen liefern konnte. Jedenfalls nicht offiziell.
    Terry Best. Berühmt für seinen kühlen Kopf und seine rosa Hemden. Verschiedene Krawatten, je nach Jahreszeit. Aber immer, wirklich immer im rosa Hemd. Manchmal bekommt er von Fans andersfarbige Hemden zu Weihnachten geschenkt und wird zu einem Wechsel gedrängt, aber er trägt nie eine andere Farbe als Rosa. Vielleicht besitzt er nur ein Hemd, oder fünfhundert identische. Woolworth hat rosarote Hemden im Sortiment, und neulich gab es dort eine besondere Werbeaktion mit einem großen Plakat von Terry im Schaufenster. Es stand zwar nicht explizit darauf, aber es erweckte stark den Eindruck, dass Terry Best seine Hemden bei Woolworth kauft. Die Programmverantwortlichen von Stadt aktuell beschwerten sich und verlangten, das Plakat zu entfernen.
    Am Kiosk im Busbahnhof kann man eine Postkarte kaufen – mit Terry darauf, die Daumen in die Kamera hochgereckt. Der Spruch darunter, in der gleichen schillernd grünen Schrift wie der Vorspann von Twin Peaks (obwohl ich nicht glaube, dass das vielen Leuten aufgefallen ist), lautet: ECHTE MÄNNER TRAGEN ROSA . Die Karte wurde nicht verboten, hauptsächlich deshalb, weil sie für nichts anderes wirbt als für Terry selbst.
    Terry ist für manche Menschen ein stärkerer Bezugspunkt als ihre Familien, denn was immer auch passiert, ob Gutes oder Schlechtes – er ist da. Erwartet man schlechte Neuigkeiten, ist Terry derjenige, von dem man sie hören möchte.
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