Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)

Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)

Titel: Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
Autoren: Jaye Ford
Vom Netzwerk:
den Druck auf Daniels Arm, er verzerrte vor Schmerz das Gesicht.
    »Jetzt das andere«, rief er.
    Dann war sie auf ihren Knien und rutschte die Betonbrüstung entlang. Mit der anderen Hand fand sie das Geländer und hielt sich dann mit beiden Händen fest. Als sie fast bei ihm war, ließ Daniel sie los, packte sie hinten an ihrer Jeans und zog sie über das Geländer. Sie fiel zu seinen Füßen auf den Asphalt.
    Sie fiel hart. Der Boden unter ihr war kalt, hart und stabil. Er fühlte sich großartig an. Sie blinzelte zu den schattigen Säulen und ins trübe Licht. Das Schönste, was sie je gesehen hatte. Daniel ließ sich neben sie fallen und bewegte sich nicht. Sie lauschte seinem schweren, heftigen Atem. Wie lange hätte er sie noch halten können?
    »Ray ist tot«, sagte sie.
    »Bist du verletzt?«
    »Nein. Bist du okay?«
    »Nein.«
    Er war schlimm zugerichtet. Sein Gesicht war blutverschmiert, sein Arm war ebenfalls voller Blut. Im Dämmerlicht sah sie einen Nagelkopf, der aus seiner Schulter ragte. Er hatte das eine Knie angewinkelt, das andere lag ausgestreckt und schlaff da. Sie hatte keine Ahnung, wie er es bis zu ihr geschafft hatte. Doch dafür musste er durch die Hölle gegangen sein.
    »Ich wollte nicht aufgeben«, sagte sie.
    »Das habe ich auch nie angenommen.«

48
    »Und, hast du dich entschieden?«, fragte Liv.
    Cameron presste sein Gesicht an die Glastheke der Eisdiele. Er schob sich langsam daran entlang, betrachtete die Farben und murmelte. »Und, was nimmst du?«, fragte er.
    »Opa hat immer Schokoladeneis genommen.«
    Sie spürte wieder die Welle der Traurigkeit, die sich in ihr ausbreitete, und brauchte einen Augenblick, um die Süße in der Erinnerung wiederzufinden, bevor sie weitersprach. »Stimmt doch, oder? Willst du auch Schokolade?«
    »Hm, essen Feuerwehrmänner Schokolade?«
    Sie lächelte. In letzter Zeit redete er ständig von Feuerwehrmännern. Liv hatte sich gefragt, wie es um Daniel und seine Albträume stand – ob er sie noch hatte, ob sie auch noch Teil davon war. Sie hatte überlegt, ihn danach zu fragen, ihn einfach anzurufen und zu sagen: »Wie schläfst du?«, doch sie hatte sich dann doch nicht dazu durchgerungen.
    »Können wir Daniel fragen?«, fragte Cameron.
    Konnte sie das? Sie hatte seit dem Begräbnis ihres Vaters vor vier Wochen nicht mehr mit ihm gesprochen – vierzehn Tage nachdem er sie über das Geländer gezogen hatte. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an.
    Zwei Tage nachdem Ray von dem Parkdeck gefallen war, hatte sich der Zustand ihres Vaters rapide verschlechtert. Schmerzgeplagt und noch immer verletzt, hatte sich Liv an sein Bett gesetzt und sich gewünscht, seine Schmerzen würden vorbeigehen und er könne bleiben. Sie hatte ihm nichts von jener Nacht erzählt, doch er hatte gespürt, dass irgendwas passiert war, ihre Hand gehalten und um Worte gekämpft.
    »Liebes, jetzt kann ich gehen. Dein Kampfgeist ist wieder da. Ich sehe es in deinen Augen. Es wird alles gut.«
    Sie wusste nicht, was er gesehen hatte, sie spürte nur unendliche Trauer.
    Am nächsten Nachmittag, als sie sich in der kühlen Herbstluft eine Pause gönnen wollte, saß Daniel auf einer Bank vor der Tür und wartete auf sie. Neben ihm standen die Krücken, der Arm hing in einer Schlinge, und um sein Handgelenk trug er ein Krankenhausarmband. Da hatte sie ihm gesagt, dass sie nicht mit ihm zusammen sein konnte.
    »Aus so viel Bösem kann nichts Gutes entstehen«, hatte sie gesagt. »Das Böse wird auf alles abfärben. Alles, was zwischen uns war, wurde von Ray vergiftet. Denk an Sheridan und Teagan. An Thomas und all die Schlechtigkeit, die er hinterlassen hat.« Ganz zu schweigen von ihren Schamgefühlen, weil sie geglaubt hatte, Daniel könnte zu solchen Gemeinheiten fähig sein. »Ich würde nur alles verderben. Das will ich nicht, und das hast du nicht verdient.«
    Ihr Vater hatte noch zwei Tage durchgehalten, und jeden Nachmittag hatte Daniel auf der Bank auf sie gewartet. Sie hatten kein Wort miteinander gesprochen, sie hatten nur in der Kälte nebeneinandergesessen. Liv war bis zum Ende bei ihrem Vater – und auch noch lange danach, hatte sich an die schönen Zeiten erinnert und versucht, seine Schmerzen zu vergessen. Daniel war zum Begräbnis gekommen, hatte ihm mit anderen Hunderten von Trauergästen, die ihren Vater noch von früher kannten, die letzte Ehre erwiesen. Sie hatte sich nie die Zeit genommen, Daniel zu sagen, wie sehr sie das geschätzt hatte. Nicht nur das. Alles,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher