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Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)

Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)

Titel: Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
Autoren: Jaye Ford
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Sicherheit bringen. Er packte ihre Hände und zog sie von seinem Gesicht fort. Sie ließ es zu, nutzte aber die Gelegenheit, die Fäuste zu ballen und ihm einen Doppelhaken zu verpassen.
    Es war nur ein einziger Schlag. Doch er fühlte sich gut an. Sie traf ihn oberhalb des Ohres, brachte ihn aus dem Gleichgewicht und zwang ihn ein paar Schritte zurück.
    Von seiner Wange hingen Hautfetzen herab. Er atmete schwer durch den Mund ein, sein Brustkorb hob sich vor Anstrengung, dann beugte er sich herab, breitete seine Arme aus und ließ die eine Schulter sinken. Er bereitete sich auf einen Gegenschlag vor. Wie beim Rugby, bei dem man den Gegner um die Beine packt, hochhebt und auf den Boden schleudert. Doch Ray würde nicht auf den Boden, sondern über das Geländer direkt auf den Abgrund zielen.
    Panik erfasste sie. Seitlich kam sie nicht an ihm vorbei. Er war zu nahe und bewegte sich bereits auf sie zu. Fast wie in Zeitlupe zog sie sich zurück, während er auf sie zukam. Sie schob ihre gefesselten Handgelenke vor ihren Körper, spreizte die Finger und vollführte eine Drehung, als er losstürzte. Und betete, dass sie den richtigen Winkel erwischt hatte.
    Die Wucht, mit der er auf sie prallte, presste ihr die Luft aus den Lungen. Er zog seine Arme um ihre Oberschenkel zusammen und knallte mit dem Kopf gegen ihre Hüfte. Sie drehte sich weiter, streckte sich und spürte, wie das Metallgeländer auf ihre rechte Handfläche traf.
    Alles andere ging zu schnell, als dass sie es begreifen konnte. Vielleicht war das Geländer niedriger, als er erwartet hatte. Oder sie war größer, als er sie eingeschätzt hatte. Vielleicht waren es seine Wut und das Adrenalin, die ihn dazu brachten, seine Kraft falsch einzuschätzen. Vielleicht hatte er erwartet, sie würde sich gegen seinen Schlag wappnen, statt sich zu drehen und somit seinem Schub noch mehr Kraft zu verleihen. Was immer es war, sie ging hoch und prallte gegen die Absperrung, spürte, wie ihre linke Pobacke an der Betonkante entlangschrammte, knallte mit Wucht auf das Geländer und rollte darüber.
    Ihr einziger Gedanke war, ihre Finger um das kalte Metall an ihrer Handfläche zu schließen. Ihre Arme zerrten schmerzhaft an den Gelenken, als ihr Körper in den leeren Raum flog.
    Rays Gewicht zerrte an ihren Oberschenkeln und am Stoff ihrer Jeans.
    Dann war er verschwunden. Er war einfach verschwunden.
    Nichts war zu hören, nur der Schrei, der aus ihrem Mund drang, während sie völlig frei schwang. Durch die plötzliche Entlastung schwang ihr Körper in freiem Flug über dem Abgrund und wurde nur durch ihren verzweifelten Griff am Geländer vor dem Fall in die Nacht bewahrt. Sie rutschte voran, klammerte sich an das Geländer, von dem die Farbe abblätterte, bis sie mit ihrem Körper an die Betonbrüstung knallte.
    Das hatte sie nicht erwartet. Sie hatte erwartet, auf dem Boden unter ihr zu zerschellen.
    Sie lebte. Atmete. Hatte ihre Arme über den Kopf gestreckt und hielt sich mit gefesselten Handgelenken am Geländer fest. Der gebrochene Knöchel tat höllisch weh. Sie hatte unglaubliche Angst.
    Sie schlug mit einem Bein aus, dann mit dem anderen, trat wie ein Fahrradfahrer in die Pedale und suchte verzweifelt nach einem Halt für ihre Füße. Doch die untere Kante der Mauer war in Hüfthöhe. Darunter war nichts. Ihre hektischen, unkontrollierten Bewegungen erschütterten sie bis zu den Händen, die verschwitzt und glitschig am Metallgeländer entlangrutschten und kaum noch Zugkraft hatten.
    Sie schloss die Augen, zwang sich, sich nicht zu bewegen, Ruhe zu bewahren und nicht mehr vor und zurück zu schwingen. Sie konnte sich nicht hochziehen. Dazu fehlte ihr in dieser Lage die Kraft. Nicht mit einem gebrochenen Knöchel und feuchten Händen. Nicht nach allem, was passiert war. Der einzige Weg nach oben führte über die Balustrade; sie musste ein Knie zur Hüfte ziehen, die Betonmauer erreichen und es als Hebel nutzen, um sich dann daran hochzuziehen. Doch so eine Bewegung führte unweigerlich dazu, dass sie nach außen schwang, dass sich der Zug auf ihre Hände veränderte und der Druck auf ihre Finger vergrößerte. Wie lange würde sie sich halten können?
    Sie drehte den Kopf, nur ein wenig, bewegte die Augen und sah nach unten.
    Ray lag ausgestreckt auf der Straße. Mit dem Gesicht nach unten, sein Körper in einem merkwürdigen Winkel um einen Plakatständer unter ihr gewunden. Blühte ihr das auch?
    Noch nicht. Verdammt noch mal, noch nicht. Liv, lass nicht los.
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