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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII.
Autoren: Margaret George
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fahren, und das taten sie auch. Dann wurden sie ausgespannt, und der Wagen blieb, von Fackeln umgeben, in der ansonsten dunklen Kirche stehen. Das Geleit zog sich in den noch bewirtschafteten Teil des ehemaligen Klosters zurück. Die Leute waren hungrig und verlangten nach Speise und Wein. Der König war allein. Ich muss gestehen, dass ich mich zu den anderen gesellte, denn meine Gelenke schmerzten, ich war durchgefroren, und in der Halle brannte ein Feuer.
    Aber entscheidend ist, dass ich Hal allein ließ – allein in der dunklen und irgendwie bösartigen Kapelle. Hätte ich genug Grips zum Schafezählen gehabt, hätte ich mich an irgendetwas erinnert, dann hätte ich auch daran gedacht, dass dies der dreizehnte Februar war – der Tag, an dem Catherine Howard hingerichtet worden war. Und dann wäre ich bei ihm geblieben.
    Irgendwann während der Nacht, als die schlaftrunkenen Totenkläger und Chorsänger erschienen waren, die Mitternachtsklage gesungen hatten und wieder gegangen waren, öffnete sich der Sarg, und das Blut des Königs rann heraus und tropfte auf den Steinboden – dick und rubinrot, erzählte man sich. Es tropfte stundenlang, und die Kerzenflammen rings um den Sarg blakten und erloschen schließlich. Und dann, als die heilige Gegenwart von Licht und gesegnetem Wachs dahin war, krochen die Geister der Hölle hervor, um am toten König ihre Rache zu üben. Ein großer schwarzer Hund – niemand wusste, woher er gekommen war – kroch mit dem letzten Flackern der Flammen heran, gerade bevor die ganze Kapelle im Dunkel versank. Er kroch unter den Leichenwagen und fing an, das Blut mit langer, böser Zunge aufzulecken.
    Er war noch da, sabbernd, kriechend, als der Priester kam, um die Frühmesse zu lesen. Der Morgen graute noch nicht, und der Priester hantierte mit den Kerzen, als er das Lecken und Knurren vernahm.
    Das Untier war acht Fuß lang und ganz schwarz. Sein Schwanz sah aus wie eine Schlange, die Augen waren rot, und seine Zähne glitzerten und blitzten. Sein Auge verriet nicht, dass es den Menschen kannte – außer als Feind.
    Als der Priester sah, wie bösartig die Bestie war und dass sie sich durch normale menschliche Tätigkeit nicht vertreiben ließ, ergriff er die Flucht.
    »Der Hund der Hölle!«, schrie er und weckte alle ringsumher. »Der Hund der Hölle ist in unserer Kirche und umschleicht den König …«
    Die Männer, die er geweckt hatte, bewaffneten sich und gingen hinaus, um dem Hund entgegenzutreten. Sie hatten Fackeln und Schwerter. Aber die Bestie kauerte sich bösartig knurrend unter den Sarg und ließ sich durch nichts vertreiben. Die Schnauze war rot von Blut.
    »Wir müssen warten, bis es hell wird«, sagte der Priester schließlich. »Diese Kirche hat ein großes Ostfenster. Das Licht wird ihn schon vertreiben. Wenn es eine Erscheinung ist …«
    »Aber warum ist er überhaupt hier? Wir haben keinen Hund, der zu uns käme!«, sagte einer der Verwalter des klösterlichen Anwesens. »Noch nie in der Geschichte von Syon …«
    »Er ist des Königs wegen hier«, sagte einer seiner Gefährten kühn. »Und wegen der Königin, die der König hinrichten ließ. Wisst Ihr nicht mehr, wie sie weinte und trauerte?«
    »Nein. Es ist die Erfüllung der biblischen Prophezeiung an König Ahab. Ein Bruder sagte einmal, dass unser König das gleiche Schicksal erleiden werde. Er sagte es in einer Predigt, ihm ins Gesicht. Damals, als er das Weib Boleyn heiraten wollte. Die Schrift sagt:
    ›Sage du zu ihm, so spricht der Herr: Gemordet hast du und das Erbe angetreten? Und weiter sollst du ihm sagen, so spricht der Herr: An der Stelle, da die Hunde das Blut Naboths geleckt haben, werden die Hunde auch dein Blut auflecken.
    Da aber der Kampf an jenem Tage immer heftiger wurde, blieb der König gegen die Syrer aufrecht im Wagen stehen. Am Abend starb er, und das Blut rann aus der Wunde in die Mitte des Wagens.
    Und als man am Teich von Samaria den Wagen wusch, leckten die Hunde sein Blut.‹«
    Die Protestanten kannten die Bibel immer auswendig, und sie wussten sie voller Selbstgefälligkeit zu zitieren.
    »Aber die Königin hier war Catherine Howard«, gab ein Realist zu bedenken. »Vielleicht hat sie ihn verflucht.«
    Jetzt hast du’s, mein Junge. Jetzt hast du’s. Also können Bosheit und Hass die Verwesung des Leibes überleben … im Gegensatz zu Liebe und Hingabe. Die Liebe ist stärker als der Tod. Nein, der Hass ist es.
    »Wir müssen warten, bis es hell wird.«
    Im hellen Licht
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