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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII.
Autoren: Margaret George
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Glauben an Christus.«
    Da nahm auch ich seine Hand. (Davon steht nichts in den Aufzeichnungen; ich war ja kein Prälat und hatte keine Torwächterpflichten vor seiner Seele.) Ich drückte sie fest.
    »Ihr habt Eure Sache gut gemacht, mein Fürst«, sagte ich ihm laut ins Ohr. »Ihr habt sie so gut gemacht, wie ein Mensch es nur kann, mit dem, was Gott Euch dazu gegeben hat.«
    Hörte er mich? Erkannte er mich? Da war noch Leben; und dann nicht mehr. Einfach so war er gestorben.
    Jemand zog mich weg. »Lass ihn«, sagten sie. »Deine Zeit ist um. Wir brauchen hier keine Narren.«
    Ein anderer knuffte mich gar. »Sieh, ob dein König dich jetzt noch schützt, du zügelloser, verhasster, naseweiser Narr!«
    Meine Herrschaft war zusammen mit Heinrich zu Ende gegangen. Schon war es hässlich in der Kammer. Ich wusste, sie würden ihn zerreißen und verschlingen.
    »Das Testament?«, riefen sie. »Wo ist es? Gebt nichts bekannt, solange wir sein Vermächtnis nicht gesehen haben.« Und sie begannen, Kisten, Kästen und Truhen zu durchwühlen.
    Mir fiel das Tagebuch ein. Es war nutzlos für sie; sie konnten es allenfalls besudeln. Aber wo hatte er es hingelegt? Als ich es zuletzt gesehen hatte, war es auf seinem Schreibpult …
    Federn stoben durch die Luft. Sie rissen die Matratze unter ihm auf und suchten selbst dort nach dem Testament. Cranmer flehte sie an, innezuhalten.
    »Wenn er sein Vermächtnis an einem vernünftigen Ort hinterlegt hätte, brauchten wir dies nicht zu tun«, versetzten sie. »Aber nein! Wahnsinnig, wie er war, hat er es ja sogar vor seinem eigenen Staatsrat versteckt …«
    Ich zog die verborgene Pultschublade auf, und da lag sein Buch vor meinen Augen. Ich nahm es heraus.
    »Was ist das, Narr?« Tom Seymour wand es mir aus der Hand. Als er die winzige Handschrift erblickte, verlor er das Interesse. Er konnte kaum lesen.
    »Meine Gedichte«, sagte ich. »Ideen für Gedichte, die ich gern schreiben möchte, wenn ich mich zur Ruhe gesetzt habe.« Ein Tagebuch würde sie interessieren, weil es sie bedrohen konnte. Gedichte würden sie langweilen und wären deshalb sicher vor ihnen. Henry Howard hatte das gewusst, als er König Heinrich unter dem Vorwand, über den Assyrerkönig Sardanapalus zu schreiben, attackiert hatte (»… mit übler Geilheit/und sünd’ger Lust, die schwärzt sein königliches Herz … Der kaum den Namen Mensch sich noch bewahrt … Ich sah den Königsthron … Wo Unrecht saß/Das blut’ge Vieh, das trank unschuldig Blut«).
    »Pah!« Er warf es mir zurück. »Verschwinde. Niemand braucht dich mehr. Dies ist unser Tag, der Tag der Seymours, der Tag, auf den ich warte, seit meine dumme Schwester dieses verrottete, böse Ungetüm von einem König geheiratet hat.« Er grinste und wiederholte seine letzten Worte dem König ins Gesicht – in das Gesicht, vor dem er zu Lebzeiten immer scheinheilig gewinselt hatte. Jetzt sah auch ich das Rote in Thomas’ Auge, dass der König in seinem »Wahnsinn« erkannt hatte.
    Ich verließ die Totenkammer, das Tagebuch unter dem Arm. Draußen, im benachbarten Staatsgemach, warteten die übrigen Ratsherren und Höflinge auf Nachricht; sie wollten wissen, wo die Seele des Königs war. Nein, in Wahrheit kümmerte sie seine Seele nicht. Sie wollten wissen, wo sein Vermächtnis und sein Gold und seine Erben waren.
    Nichtsdestoweniger war es eine gute Herrschaft gewesen, und anders als die Höflinge trauerte das Reich um den Verstorbenen. Er hatte seine Sache gut gemacht für jedermann, nur nicht für sich selbst.

CXXXII
    I ch floh die Korridore hinunter, nur noch darauf bedacht, den krallenden Händen und gierigen Gesichtern der Eigennützigen zu entweichen, die sich jetzt um die Gemächer des toten Königs sammelten. Ich erreichte mein Quartier und begab mich zu Bett, ohne eine Kerze anzuzünden, damit niemand etwa das Licht sah und zu mir kam, mich zu befragen.
    Im Morgengrauen erwachte ich. Gedämpfte Stille erfüllte den weitläufigen Palast von Whitehall – der Tod ließ alles innehalten. Bittsteller und Trauernde waren gegangen, die Wachen hatten sich schlafen gelegt. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Der Tod hielt das Zepter, der Tod regierte das Reich.
    Wo waren die, die nach dem Testament gewühlt hatten? Hatten sie es gefunden? Was stand darin? Waren sie hinausgehastet, um die Kunde zu verbreiten? Oder hielten sie es fest wie ein Spieler, der schlechte Karten bekommen hatte und nun auf die Erlösung hoffte, auf irgendeine Wende?
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