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Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)

Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)

Titel: Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
Autoren: Frederik Hetmann
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eine Weigerung, die Schinderei des Leben-müssens auf sich zu nehmen.
    Dr. Melitta Sperling, eine bekannte amerikanische Kinderpsychologin, stellte in einer Untersuchung fest, dass asthmatische Kinder in besonderem Maße zu einem zerstörerischen und selbstzerstörerischen Verhalten neigen, das nicht selten sogar bis zum Selbstmord führt. Sie beschreibt den Asthmaanfall als eine Form von magischer Kontrolle über Leben und Tod.
    Als die Ärzte den Eltern erklären, das feuchte Klima von Buenos Aires verschlimmere die Krankheit, verkauft der Vater seine Anteile an der Schiffsbaufirma wieder, und die Familie übersiedelt in den im Gebirge gelegenen Kurort Alta Garcia.
    Von nun an widmet sich Señor Guevara fast ausschließlich der Aufgabe, aus einem kränklichen Kind einen kräftigen Jungen zu machen. Er lehrt ihn schwimmen, nimmt ihn zum Tontaubenschießen und zum Golfspielen mit. Er achtet darauf, dass das Kind im Sommer wenigstens drei Stunden im Freibad verbringt, damit sich seine Brustmuskulatur entspannen und es besser atmen kann. Der Vater erklärt Ernesto frühzeitig, er brauche sich nie darum zu kümmern, was die Eltern seiner Freunde für Berufe ausübten, ob sie arm oder reich seien. Die Mutter ist am Ort dafür bekannt, sich in jedes politische Streitgespräch einzumischen und immer die Partei der Armen zu ergreifen. Seltsame Leute sind diese Guevaras, finden ihre Nachbarn; sie werden nicht recht klug aus dieser Familie. Geschwister werden geboren. Celia, Roberto, Ana-Maria und als Nachzügler 1941 Juan Martin. Der Vater führt das Leben eines wohlhabenden, wenngleich nun nicht mehr eigentlich reichen Privatmannes - ein beträchtlicher Teil des Vermögens seiner Frau ist durch die Weltwirtschaftskrise verloren gegangen. In den Jahren in Alta Garcia bessert sich Ernestos körperliches Befinden wesentlich. Stolz zeigt der Vater später Verwandten zwei Fotos. Der Junge mit drei Jahren: Arme und Beine wie Streichhölzer. Der Junge mit vierzehn: stämmig und selbstbewusst. Ernesto bewundert seinen Vater. Er versucht, wie der Vater ein guter Schütze zu werden - vorerst mit der Steinschleuder, später mit dem Luftgewehr. Mit unerhörter Willensanstrengung hält er bei Rugbyspielen durch, an denen teilzunehmen ihn der Vater ermuntert. Wenn Ernesto der Husten überkommt, rennt er an den Spielfeldrand, inhaliert ein paar Minuten und spielt dann weiter.
    Oft haben die Anfälle eine solche Gewalt, dass er danach wochenlang geschwächt zu Bett liegen muss. In solchen Zeiten möchte er sich fallen lassen. Es ist ja doch alles vergebens. Nie wird es ihm gelingen, das Handikap seines Organismus durch Willenskraft völlig wettzumachen.
    Die Mutter tröstet ihn. Sie sieht es gern, wenn sie ihren Ältesten einmal ganz für sich haben kann. Sie findet, der Vater verlange von dem Jungen zu viel. Die körperliche Anstrengung beim Sport verschärfe die Krankheit nur. Sie hat auch darauf gedrungen, dass Ernesto die erste Volksschulklasse nicht besuchen muss, sondern von ihr daheim unterrichtet wird. Nur in der zweiten und dritten Klasse nimmt er regelmäßig am Unterricht teil. Später bringen ihm seine Geschwister die Hausaufgaben mit, und er arbeitet für sich allein.
    Er liest viel. Der Vater besitzt eine private Bibliothek von 3.000 Bänden. Philosophische und soziologische Schriften, die Werke Freuds, Fachbücher über Mathematik, Maschinenbau und Architektur, die Gedichte Baudelaires - alles interessiert den Jungen.
    Er hört die Eltern häufig streiten. Es geht dabei nicht, wie in anderen Familien, um Geld, Liebe oder eheliche Treue. Wenn er es recht versteht, bricht der Streit immer darüber aus, wie den Armen am wirksamsten geholfen werden könne.
    Vater wie Mutter ergreifen entschieden Partei für die Armen. Die Mutter meint, man müsse kämpfen. Der Vater hingegen vertritt die Ansicht, es habe keinen Zweck, man könne die Welt nicht ändern, jedenfalls nicht fundamental. Vor allem widerspricht er den Erwartungen, die die Mutter in die große Revolution setzt.
    Versteht Ernesto das richtig? Ganz sicher ist er sich nicht. Es gibt da zu viele Worte, deren Sinn er nicht begreift. Sein Gefühl sagt ihm, die Mutter müsse recht haben. Wie oft ist er zusammengezuckt, wenn er auf Spaziergängen mit dem Vater die Baldios, die Elendsviertel, am Rande der Stadt gesehen hat. Kinder, die dort wohnen, werden von den anderen in der Schule gemieden (jene wenigen, die von dort überhaupt zur Schule kommen).
    »Lumpenkinder!
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