Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Titel: Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
Autoren: Peter Messner
Vom Netzwerk:
ein mitteldeutscher Alkoholiker, der uns in betrunkenem Zustand und leider recht penetrant anbetteln will. Er ist neben einer ebenfalls leider sehr heruntergekommenen Frau in Astorga auf meinem ganzen Camino erst der zweite Penner, den ich als getarnten Pilger erleben muss. Als er minutenlang neben unserem Tisch stehen bleibt und die freundlichen Aufforderungen, uns bitte in Ruhe zu lassen, ignoriert, rege ich seinen letzten Rest Verstandes mit deutlichen Worten an, die Fliege zu machen. Schließlich trollt er sich, auf sächsisch laut vor sich hinmosernd. Pilgern ist eben keine heile Welt .
    Und saufet euch nicht voll Wein, daraus ein unordentlich Wesen folgt, sondern werdet voll Geistes: Epheser 5.18

37. Tag von Sarria nach Portomarin
    Bei bewölktem Himmel und ein paar Grad weniger als sonst wandern wir heute erstmals zu viert knapp 23 Kilometer durch wunderschöne galicische Hohlwege - vorbei an Kuhweiden,Steinmauern und alten Kastanien. Alles sehr romantisch und verwunschen. Die Jahrhunderte alten Bäume und Hohlwege erinnern sehr deutlich daran, dass die Menschen hier seit Generationen gen Santiago unterwegs sind. Eine hinreißende Gegend ist das hier! Die Romantik endet allerdings schlagartig an der nächsten Wegbiegung: Eine Busladung spanischer Touristen nervt heute auf der ersten Hälfte des Camino gewaltig. Sie sind auf ein Foto mit dem 100-Kilometer-Stein scharf, der -zumindest nach spanischer Entfernungsrechnung -auf das Finale gen Santiago einstimmt. Tatsächlich sind es ein paar Kilometer mehr, aber spanische Kilometer sind dehnbar.
    Wir entkommen der Touristen-Horde mehrmals nur knapp und müssen uns beeilen, nicht dauernd zwischen 50 plappernden Spaziergängern pilgern zu müssen.
    Für Stefan ist es der erste Wandertag, Beate und Charlotte haben die Hälfte ihrer 192 Kilometer geschafft und ich mache heute die 700 voll. Wir laufen erst mit einer deutschen Kinderärztin, die Charlotte einiges vom Medizinstudium erzählt, und dann auch wieder mit Martina und Klaus. Mir scheint es so, dass sie auf den Heiratsantrag ihres Freundes wartet, mit dem sie seit einem Jahr zusammen wohnt. Da wäre der Camino doch ein netter Ort - vielleicht ein Kniefall mit roter Rose vor einer 800 Jahre alten Kastanie?
    Die Mittagspause in einer Bar wird vongigantischen Bocadillos geprägt. 30 bis 40 Zentimeter lang, breit und dick mit Rührei belegt sind sie kaum zur Hälfte zu schaffen. Das ist eindeutig Camino-Rekord. Der Rest wandert als Reserve ins Gepäck. Seit Stunden bearbeiten wir nun Stefan, seinen modisch etwas gewagten Pilgerauftritt zu entschärfen. Als Berufssoldat hat er sich ein paar seiner Ausrüstungsgegenstände mitgenommen. So weit, so gut. Dass er aber seine beigefarbenen Kniestrümpfe kurzhosig bis ganz nach oben zieht, betont seine weißen, dünnen Beine allerdings auf eine Weise, die uns unsicher macht. Sollen wir jetzt besser getrennt gehen, damit uns drei keiner mit ihm zusammen sieht? Für unsere Anregung, wenigstens die Kniestrümpfe auf den Wanderschuh herunterzuschieben, ist er leider taub.
    In Portomarin, einst auf einem Hügel neben dem Stausee erbaut, der das alte Dorf verschluckte, kommen wir in einem schönen Neubau-Zweisternhotel unter. Unser Einmarsch über die Calle Mayor ist allerdings irritierend: Es ist merkwürdig still, obwohl zahlreiche Menschen auf den Straßen sind. Der halbe Ort trägt feinen, dunklen Zwirn, als wir die Einkaufsstraße hin zum Kirchplatz marschieren. Doch es ist diesmal keine Hochzeitsfeier: Die Leute tragen Trauerkleidung. Per SMS erfahre ich von Leonie, die einen Tag vor uns hier war, dass sich ein 23-Jähriger aus dem Dorf totgefahren habe. Kurz nach unserem Eintreffen beginnt die Trauerfeier - und es stehengleich vier Leichenwagen und hunderte Trauergäste vor der Kirche! Nicht ein Toter, sondern vier sind die Folge eines tragischen Unglücks zwei Tage zuvor. Hier ist Schicksal ein anderes Wort für hässlich.
    Die schwitzenden vorbeieilenden Pilger in ihrem Räuberzivil wirken hier auf dem Kirchplatz unter den erstarrten, schwarz gekleideten Spaniern dabei leider ziemlich deplatziert. Die selbst erwählten Pilgerleiden mit schmerzenden Knien neben dem Trauerschmerz - geradezu lächerlich. Die irreale Welt der Fernwanderer prallt frontal auf die echten Probleme der realen Welt.
    Werdet ihr diesen auch von mir nehmen und widerfährt ihm ein Unfall, so werdet ihr meine grauen Haare mit Jammer hinunter in die Grube bringen. 1. Mose 44.29

38. Tag von Portomarin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher