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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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was ich konnte, aber das war so wenig gewesen, zu wenig. Zwei Jahre später traf ich eine ehemalige Mitgefangene von Maryam, die es nach ihrer Freilassung als Flüchtling bis nach Deutschland geschafft hatte. Sie erzählte, wie Maryam vor Verzweiflung geweint hatte, als sie hörte, dass das Urteil vollstreckt würde. Als man sie holen kam, war sie ohnmächtig geworden und musste auf einer Trage zur Hinrichtungsstätte im Gefängnishof gebracht werden. Ich weinte wieder, als ich das hörte, ich sah sie förmlich vor mir, schon fast tot vor Angst, aber doch noch lebendig genug, um bis zuletzt zu leiden.
    Nach ihrem Tod sprach ich mit einigen Freundinnen, die heute verstreut in England, Schweden und Kanada leben. Meine Idee für ein »Internationales Komitee gegen Steinigung« fand ihren Beifall. Auch sie kannten die immer gleichen Fragen, den immer gleichen Unglauben bei europäischen und nordamerikanischen Menschen, wenn sie von Steinigungen erzählten. Ich wollte nicht mehr nur auf Todesurteile reagieren, sondern im Vorfeld aufklären. Wir haben den 11. Juli, den Tag von Maryams Hinrichtung, zum internationalen Tag gegen Steinigung erklärt. 2004 gründeten Menschenrechtler unter den Exil-Iranern das »Internationale Komitee gegen die Todesstrafe«, welches sich vor allem für die Abschaffung der Todesstrafe im Iran einsetzt und unter anderem die Hinrichtungen Minderjähriger und Homosexueller anprangert. Ich bin dort ebenfalls Mitglied, und wir koordinieren die Aktivitäten der beiden Organisationen.
    Ich bin froh, dass meine Töchter nicht im Iran mit seiner religiösen Diktatur aufwachsen müssen. Doch auch in Deutschland bin ich zunehmend besorgt. Ich weiß, dass die allermeisten Muslime hier, die sich als gläubig bezeichnen würden (und das sind maximal (!) 50 Prozent der Menschen, die gemeinhin als Muslime in Deutschland bezeichnet werden), Steinigungen ablehnen. Nur: Ehebruch und vorehelichen Geschlechtsverkehr sowie Homosexualität sehen die meisten von ihnen trotzdem als etwas an, was gegen Gottes Gebote verstößt und mit dem man die Ehre der Familie verletzt. Als etwas, das bestraft werden muss. Menschen, die das glauben, sind mitverantwortlich für ein Klima, in dem »Ehrenmorde« passieren können. Man kann für das Verbot des Schwimmunterrichts für Mädchen sein und gegen Steinigung, aber es ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls berechnend, die hinter beidem stehende Ideologie des politischen Islam zu leugnen. Es reicht eben nicht, Steinigungen abzulehnen und die Strafe zu mildern, sondern die dahinterstehenden Moralgesetze müssen außer Kraft gesetzt werden. Weder außerehelicher Geschlechtsverkehr noch Schwimmen sind etwas Anstößiges. Politisch nenne ich den Islam deshalb, weil er sich nicht als Religion begreift, die man glauben kann oder eben nicht und die man rein privat ausübt. Sondern weil er sich als einzig wahre Weltordnung versteht, in der weltliche Gesetze nie die gleiche Bedeutung haben können wie die angeblich von Gott gegebenen. Die Scharia umfasst alle islamischen Gesetze, wie sie im Koran stehen und wie sie in den ersten Jahrhunderten nach Mohammed von islamischen Theologen in der sogenannten Überlieferung festgeschrieben wurden. Sie umfassen im Kern das gesamte Ehe- und Zivilrecht und regeln damit das ganze Leben der Menschen. In Einzelfragen gibt es durchaus unterschiedliche Auslegungen, so steht etwa auf Ehebruch nicht in allen »islamischen Ländern« die Todesstrafe. Aber dass die Scharia gilt, darüber gibt es keine Debatte, sie gilt offiziell als Gesetzesgrundlage, einzig die Türkei ist seit Atatürk eine Ausnahme und hat ein nichtreligiöses Gesetzbuch. Der Islam kennt keine Trennung von Staat und Kirche beziehungsweise Religion. Zudem bleibt bei jeder Auslegung der Scharia die rechtlich untergeordnete Stellung der Frau unberührt.
    Deshalb bin ich zunehmend besorgt: In den letzten Jahren, langsam, aber unaufhaltsam, wie es scheint, sehe ich sie in den Straßen Kölns: Frauen unter einem Kopftuch, Frauen verhüllt in einen Tschador. Frauen, die hinter ihren Männern gehen. Frauen, die in Deutschland leben, aber kein Deutsch sprechen. Frauen, die ihren Töchtern weitergeben, was sie gelernt haben: das Kopftuch umzulegen ab dem zwölften Lebensjahr, denn ihr Haar könnte Männer ihren Trieben ausliefern (!), kein Sport, kein Reden mit Jungen. Diese Mädchen haben keine Perspektive im Leben außer der, zu heiraten und Söhne zu bekommen. Dies gilt auch, wenn ihnen unter
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