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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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in ihnen auch alle Mädchen, die in eine muslimische Familie geboren werden. Sie alle sollen die Chance bekommen, frei über ihr Leben zu bestimmen.
    So dachte ich viele Jahre, in denen ich mich vor allem dem Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen in der islamischen Welt, ihrer Unterdrückung unter der Scharia, widmete. Von all dem wird noch die Rede sein, von meinem Leben im Iran, in Kurdistan, in Wien und Köln, von Frauen, die wegen ihrer Sexualität gesteinigt wurden, und von mutigen Kämpferinnen und Kämpfern für die Menschenrechte im heutigen Iran und der islamischen Welt. Mädchen haben ein Recht auf Bildung, sie sollten nicht ins Haus gesperrt werden wie unter den Taliban. Sie haben auch ein Recht auf Schulausflüge und Sportunterricht, das sollte ihnen die Justiz in einer Demokratie erkämpfen, sie nicht allein lassen, wenn ihnen dieses Recht im Namen der Religion verweigert wird, wie in Deutschland.
    Das Verbot, schwimmen zu lernen, mag gering erscheinen gegen die Schrecken einer Steinigung. Als ich von den ersten Steinigungen unter dem neuen Regime der Mullahs im Iran hörte, saß ich in einem Lager in den kurdischen Bergen und konnte es nicht fassen. Eine Frau war wegen vermeintlich unkeuschen Verhaltens (Ehebruch oder vorehelicher Geschlechtsverkehr) in einem Dorf auf den Dorfplatz getrieben worden. Dort wurde sie bis über ihre Brüste eingegraben, und ein Tuch wurde über ihren Kopf gelegt. Dann warf die Menge Steine auf sie, der erste kam vom Dorfvorsteher, bis ihr die Haut am Kopf platzte und die Hirnmasse herausquoll. Man warf Steine auf sie, bis sie tot war. Dann wurde sie liegen gelassen.
    Berichte wie dieser, mitunter auch von Männern, die gesteinigt wurden, häuften sich. Das war die höchste Form staatlichen Terrors, vor allem gegen Frauen und ihre sexuelle Selbstbestimmung. Doch im Iran und anderen Ländern mit Scharia gilt diese Strafe als gottgewollt, denn sie steht in der von Gott bestimmten staatlichen Gesetzgebung. 2
    2001 gründete ich das »Komitee gegen Steinigung«, Anlass war eine weitere geplante Steinigung im Iran, die von Maryam Ajubi am 11. Juli 2001. Ich hatte bis zum letzten Augenblick gehofft, dass wir sie retten könnten. Maryam Ajubi war Ingenieurin in einer Ölraffinerie und hatte zwei Kinder, 2001 waren sie acht und sechs Jahre alt. Sie wurde wegen einer außerehelichen Beziehung zum Tode durch Steinigung verurteilt. Außerdem wurde ihr Liebhaber zum Tode verurteilt und hingerichtet, weil er ihren Mann umgebracht haben soll. Eine Scheidung war Maryam Ajubi nicht möglich, da sie eine Frau ist. Die Hintergründe der Tat sind unklar – war es geplanter Mord? War es Totschlag im Lauf eines eskalierten Streits? Das Urteil gegen sie wurde am 11. März 2001 gesprochen.
    An diesem Tag starteten wir, das waren exil-iranische Frauen aus Deutschland, Schweden und Großbritannien, eine Kampagne zu ihrer Rettung. Wir kannten uns aus der kommunistischen Opposition gegen den Schah und dem Leben als Partisaninnen in den kurdischen Bergen in den 80er-Jahren.
    Ich war so sicher, dass wir ihr Leben retten könnten, ich hatte Kontakt mit Unterstützern im Iran, deren Namen ich um ihrer Sicherheit willen verschweige. Ich sammelte Unterschriften unter Petitionen. Ich hatte mich schon für einige Frauen eingesetzt, die von Steinigung bedroht waren, aber noch nie war mir eine so ans Herz gewachsen. Ich hörte von ihrer Familie, wie Maryam vor Angst im Gefängnis nichts mehr essen konnte, wie sie um ihre Kinder weinte. Ich stellte mir vor, wie sie dort saß, eingekerkert, und darauf wartete, dass man sie eingrub und mit Steinen zu Tode schlug. Am 11. Juli war ich in London bei Freunden. Dort hörte ich um 16 Uhr in Radio Israel: Maryam Ajubi ist gesteinigt worden. Am Küchentisch meiner Freunde brach ich in Tränen aus.
    Alle Menschen hier im Westen, denen ich von Steinigungen erzähle, sind entsetzt, keine Frage. Aber Maryam war mir persönlich nahegekommen, der Schmerz schnitt mir ins Herz, da ich eine Freundin verloren hatte. Zwar war ich ihr nie begegnet, aber meine Kontaktpersonen (deren Namen ich zu ihrer eigenen Sicherheit nicht nennen möchte) erzählten mir am Telefon immer wieder, dass Maryam dadurch Hoffnung geschöpft hatte, dass wir im Westen versuchten, ihr Schicksal bekannt zu machen, und wildfremde Menschen Petitionen für ihr Leben unterschrieben. Ich fühlte mich schuldig. Zu wissen, dass nicht ich sie verurteilt hatte, half nicht gegen dieses Gefühl. Ich hatte getan,
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