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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Autoren: J Karnick
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eines Mietvertrages, in dem uns das unbefristete Wohnrecht in einer Art großzügigem, gemauertem Schrebergartenhäuschen eingeräumt werden sollte: Wir hatten beschlossen, auf keinen Fall den Stadtteil zu verlassen und ein paar Monate, vielleicht auch Jahre, auf zwei Etagen in drei Zimmern mit insgesamt neunundfünfzig Quadratmetern zu überdauern, bis sich etwas Besseres gefunden hätte. Unsere Möbel wollten wir einlagern, mein Arbeitszimmer in ein Journalistenbüro verlegen und hauptsächlich in dem großen Garten leben, der das renovierungsbedürftige Minihaus umgab.
    Wo wir von Oktober bis März leben wollten, darüber nachzudenken hatten wir auf die Zeit nach unserem Einzug verschoben. Ich erklärte unser Vorhaben, zu viert in dem aufgepusteten Schrebergartenhaus zu wohnen, zu einem Selbstfindungsprojekt. Lernziel: »einfacher leben«. Unsere Freunde erklärten uns für verrückt.
    Meine Mutter wurde von nächtlichen Panikattacken heimgesucht, nachdem sie das Häuschen von außen besichtigt hatte, das nach ihrer Meinung nach dem Allerschlimmsten aussah – nämlich nach sozialem Abstieg: »Um Gottes willen, zwei Erwachsene und zwei Kinder in diesem winzigen Kabuff, das geht doch nicht gut, eure Ehe wird zerbrechen, wenn ihr euch nicht gleich alle gegenseitig umbringt!«
    »Quatsch«, sagte ich, »das geht schon für eine Weile, Hauptsache, die Kinder müssen die Schule nicht wechseln.«
    Ich hatte eigentlich gedacht, meine Mutter würde mich verstehen. Sowohl sie als auch mein Vater hatten als Kinder im Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren und mussten woanders, in der Ferne, noch einmal ganz von vorne anfangen. Das wollten wir ihren Enkeln ersparen.
    Einen Tag also bevor wir den Mietvertrag für die grundschulnahe Bruchbude mit Traumgarten unterzeichnen wollten, riefen die Besitzer einer Fünf-Zimmer-hundertdreißig-Quadratmeter-Wohnung mit Garten an, auf die zu hoffen wir längst aufgegeben hatten, und fragten uns, ob wir noch Interesse an der Wohnung hätten. Wir alle waren überglücklich und zogen ein. Von nun an allerdings war meinem Mann und mir klar, dass das Ideal von einem »Leben in Bewegung« bis auf Weiteres anders gefüllt werden müsse als durch Umzüge: Die Wurzeln, die wir im Stadtteil geschlagen hatten, weiterhin zu leugnen wäre lachhaft gewesen.
    Wie bringt man Bewegung in das eigene Leben, wenn man beschlossen hat, sich der Kinder wegen für die nächsten zehn Jahre nicht mehr vom Fleck zu rühren? Wir kauften ein neues Sofa. Wir machten eine Fernreise. Mein Mann machte sich selbstständig. Wir dachten kurz an ein drittes Kind, entschlossen uns dann für einen Hund. Ein Hund wird schneller sauber, und – der entscheidende Pluspunkt – anders als ein Kind kann er nicht reden. Mein Mann gab seine Selbstständigkeit wieder auf und trat eine neue, sehr gut bezahlte Stelle an. Ich änderte meine Arbeitszeiten. Wir meldeten unsere Tochter im Hockeyverein an. Wir strichen das Gäste- WC in Mintgrün.
    Eines Tages, einige Monate nach Antritt seiner neuen Stelle, kommt mein Mann an einem herrlichen Sommertag nach Hause und macht sich einen Kaffee. Er setzt sich zu mir an den Gartentisch, er reckt die Arme in die Luft, das Hemd spannt ein bisschen über dem Bauch, wie es sich bei Mittvierzigern gehört. Er seufzt das Seufzen eines zwar sehr hart arbeitenden, aber gerade deshalb sehr mit sich zufriedenen Mannes in den besten Jahren.
    Ich frage: »Wie war dein Tag?«
    Mein Mann sagt: »Gut.« Dann sagt er: »Ich habe etwas beschlossen. Ich werde ein Haus kaufen.«
    »Oh Gott«, sage ich, »bitte nicht.«

    Baunebenkosten inkl. MwSt.: 0,00 €

Von Miet- und Eigenheimtypen
    Ich bin eindeutig der Miettyp.
    Erstens: Ich leide unter einer irrationalen Verarmungsangst, obwohl – oder vielleicht weil – ich nicht ein einziges Mal im Leben von Armut oder Überschuldung bedroht war: Nichts fürchtet man mehr als das, was man nicht kennt. Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater Beamter, Monat für Monat verdiente er das Gleiche, die nächste Gehaltserhöhung konnte er anhand eines Kalenders und einer Beamtenbesoldungstabelle auf den Tag genau vorhersagen, für seine Altersvorsorge musste er nichts tun, als auf seine Pensionierung zu warten, wir wohnten zur Miete, unkündbar, in einem Genossenschaftsreihenhaus. Meine Eltern gründeten ihre Existenz auf den Prinzipen »Planbarkeit« und »Sicherheit«; die Wörter »Risiko« und »Unvorhergesehenes« jagen mir, ihrem Kind, bis heute eine Gänsehaut über den
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