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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Autoren: J Karnick
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Generationen festgeschriebenen Lebensplan und einem Bausparvertrag, in den Eltern, Großeltern und Paten seit dem Tag ihrer Geburt oder Konfirmation einzahlen –, bereits während der frühen Jugend einer Zukunft entgegen, die vorsieht, dass sie in einem Fertighaus hinter Mutters Erdbeerbeet oder zumindest auf einem Grundstück in der Nähe ihres Heimatortes enden werden.
    Kaufen oder mieten? Mit dieser Frage müssen sich nur die herumquälen, die ahnen, dass ihr Leben nach wechselhaften, familiär, finanziell und beruflich unsicheren Jahren in geregelten Bahnen angelangt und endlich genug Geld da ist, um sich eine Wohnung oder ein Haus kaufen zu können – die aber aus nostalgischen Gründen der Idee anhängen, ein Leben sei nur dann ein freies und darum menschenwürdiges, wenn man es jederzeit mit einer Frist von drei Monaten kündigen und ganz woanders ganz von vorne beginnen könne. Zu dieser Sorte Mensch gehörte ich.
    Mein Mann war der Erste von uns beiden, der weich wurde. Mein Mann sagte, irgendwann einmal vor ein paar Jahren:
    »Ich hätte schon gerne irgendwann mal ein eigenes Haus.«
    Ich sagte: »Hm.«
    Ich dachte: Und wovon, bitte, willst du das bezahlen?
    Die allerersten unserer Bekannten kauften sich ein Haus, als wir gerade Anfang dreißig waren. Unsere Bekannten freuten sich wahnsinnig über ihr neues, eigenes, sehr schönes Haus. Als wir sie das erste Mal in dem neuen, sehr schönen Haus besuchten, tat ich so, als würde ich mich mit ihnen freuen. In Wahrheit packte mich beim Bewundern des Wohnzimmers ungefähr das gleiche Gefühl, das mich überkam, als ich meinen inzwischen verstorbenen Schwiegervater erstmals im Pflegeheim besuchte: Hier also werden sie die letzte Zeit ihres Lebens verbringen!
    Damals waren unsere Kinder noch klein, unser eigenes Leben wenigstens noch ein bisschen in Bewegung. Mein Mann wechselte irgendwann den Arbeitgeber, also wechselte ich das Arbeitszimmer, die Kinder wechselten den Kindergarten, wir alle wechselten den Wohnort und den Freundeskreis: Wir zogen fort von jenen Bekannten, die sich mit gut dreißig zum Sterben in ein reizendes, frisch saniertes Zwanzigerjahre-Backsteinhaus mit Garten, Pitchpinedielen und ausgebautem Dachboden zurückgezogen hatten. Wir zogen zurück in unsere Heimatstadt Hamburg, in einen Stadtteil, der nicht am Stadtrand liegt, aber trotzdem das Prädikat »grün« verdient. Wir fanden eine Gartenwohnung. Den kleinen Kindern zuliebe verzichteten wir auf Bars und Kinos um die Ecke: unser Zugeständnis an die Tatsache, dass »in Bewegung bleiben« auch heißen kann, sich den Umständen anzupassen.
    »Wir müssen ja auch nicht für immer hierbleiben«, sagte ich. Schließlich war die Gartenwohnung nur gemietet.
    Die kleinen Kinder wurden größer und kamen in die Schule. Drei Jahre nach unserem Umzug nach Hamburg flogen wir aus der gemieteten Gartenwohnung, Kündigung wegen Eigenbedarf, Kündigungsfrist drei Monate. Das bedeutete: Uns blieb ein knappes Vierteljahr, um eine neue Bleibe zu finden. Nicht viel in einer Großstadt mit Wohnungsmangel. Ich erlitt einen zweistündigen Heulkrampf, nachdem ich das Einschreiben im Briefkasten gefunden hatte.
    Ich fand nach wie vor, dass ein Leben nur dann ein freies und darum menschenwürdiges sei, wenn man es jederzeit mit einer Frist von drei Monaten kündigen und ganz woanders von vorne beginnen könne. Aber: Ich hatte mir das so vorgestellt, dass ich selbst den Bedarfsfall bestimmen und die Kündigung einreichen würde. Dass unsere Vermieter das täten, war in meinem Konzept nicht vorgesehen. Außerdem war es in unserem Stadtteil sehr schwierig, fast aussichtslos, innerhalb von wenigen Wochen eine familiengerechte Mietwohnung zu finden. Wie grausam wäre es, die Kinder auch nur einen Stadtteil weiter verpflanzen zu müssen – wo nun auch die Jüngere gerade hier zur Schule gekommen war, die Kinder sich eingelebt, Freundinnen und Freunde, eine Fußballmannschaft gefunden hatten. Und: Selbst wenn wir eine Wohnung in der Nähe der Schule fänden, dann sicher nicht noch einmal mit Garten. Was für ein Rückschritt in Sachen Lebensqualität! Ein Leben in Bewegung? Ja, gerne. Aber bitte freiwillig und nur innerhalb unseres Stadtteils – und auf jeden Fall aufwärts statt abwärts.
    Wie durch ein Wunder fanden wir eine andere, etwas kleinere, dafür günstigere Gartenwohnung zur Miete direkt gegenüber der Grundschule unserer Kinder – im allerletzten Augenblick. Nämlich einen Tag vor der Unterzeichnung
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