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Ich gestehe

Ich gestehe

Titel: Ich gestehe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kleinen Schwester! Ich tat entsetzt und hielt sie am Rocksaum fest. »Hast du schon …?« fragte ich wie eine Mitverschwörerin. »Brigit, Kindchen …!«
    »Ja!« sagte sie einfach und entzog sich meinem Griff. »Warum nicht, Fräulein Doktor? Nach medizinischen Begriffen bin ich schon lange geschlechtsreif.«
    »Wie redest du blöd!« rief ich laut. »Als ich so alt war wie du …«
    »Du! Du! Der große Engel! Wenn ich dich genau betrachte, bist du bereits die Generation von gestern. Wir leben heute freier, unkonventioneller, vernünftiger … wir Jungen …!«
    Wir Jungen! Sie sagte tatsächlich: Wir JUNGEN!
    War ich schon alt? Ist man, wenn man die Mitte der Zwanzig überschritten hat, schon nicht mehr jung?
    Ich wartete, bis Brigit aus dem Haus war, zog mich dann aus, duschte mich und stellte mich vor den großen Spiegel in der Diele.
    Ich konnte stolz sein: Mein Körper war wohlgeformt und glatt. Ich hatte schöne Brüste, fest und nicht zu groß, aber auch nicht zu klein. Ich besaß schmale Hüften und lange Beine mit schlanken Schenkeln. Und wie oft hatte ich gehört: Du machst mich verrückt, Gisèle! Immer diese Vokabel, die anscheinend zum Repertoire jedes Mannes gehört: Du machst mich verrückt!
    Solange ein Mann das zu mir sagte, war ich jung! Was bedeuten da Alterszahlen?
    Ich zog einen Bademantel über meine Nacktheit und drehte mich vor dem Spiegel wie ein Mannequin. Ob Gaston auch einmal zu mir sagen würde: Du machst mich verrückt? Sicherlich nicht. Er würde weniger ausgefahrene Komplimente haben. Zärtlichere Worte. Vielleicht auch klügere Worte, obwohl Liebe mit Klugheit nichts mehr zu tun hat.
    Liebe!
    Zum erstenmal blitzte dieses Wort bei mir auf.
    Liebe! Kann man einen Mann, den man erst ein paar Stunden kennt, lieben? Oder ist das nur ein sinnzerreißendes Begehren? Gibt es das wirklich: den Blitzschlag ins Herz?
    Ich trank unlustig den etwas kalt gewordenen Kaffee aus und legte mich dann aufs Bett. Bis 15 Uhr war noch viel Zeit. Um 15 Uhr nämlich wollten wir uns alle wieder treffen. Laroche, Fioret, Jacque, Vince, Aldai, Jean und ich. Zu einem Entnebelungskaffee, wie es Laroche nannte. Zu einem Aperitif, der die vergangene Nacht aus den Gehirnwindungen treiben sollte.
    Ich schlief tatsächlich ein, trotz der verrücktesten Gedanken, die sich nur mit Gaston Ralbais beschäftigten. Als ich gegen Mittag aufwachte, lag ich auf dem Rücken, die Hände flach zwischen die Schenkel geklemmt. Ich hatte natürlich von Gaston geträumt, und meine Hände waren im Traumgefühl seine Hände gewesen …
    Im ›Café Mon Dieu‹ warteten sie schon alle auf mich.
    Das ›Café Mon Dieu‹ hieß gar nicht so, sondern ›Café St. Pierre‹, aber Fioret hatte es so umbenannt wegen Lisette, der drallen Kellnerin. Falls man ihr, wenn sie zwischen den runden Marmortischen herumlief und bediente, unter den kurzen Rock griff – und das hatten bisher einige Semester der Sorbonne mit schöner Regelmäßigkeit getan –, kreischte sie ebenso regelmäßig auf und schrie »Mon Dieu!«
    Was war natürlicher, als daß man das ›Café St. Pierre‹ in ›Café Mon Dieu‹ umtaufte?
    Meine Kommilitonen sahen sehr matt und abgewrackt aus, als ich mich zu ihnen setzte. Sie hatten mir einen Stuhl freigehalten. Fioret sprach, wie immer, und erklärte die Lage.
    »Der Puff von Madame Blichet ist eine Wucht!« erklärte er. »Schon die Lage, chérie: Direkt dem Père Lachaise gegenüber! Wenn man aus dem Fenster blickt – nur Grabsteine! Das gibt eine geradezu perverse Stimmung. Dort die Toten, und hier im Bett geht's hyperlebendig zu! Raucht man zwischen zwei Bumsern eine Zigarette und geht dabei ans Fenster – Grabsteine. Da wird einem erst richtig bewußt, wie herrlich es ist, lebendig und gesund zu sein, und man hüpft sofort wieder ins Bett auf die Kleine. Aber die verdammten Luder kennen diese stimulierende Wirkung des Friedhofes. Das ist von Madame Blichet alles einkalkuliert. Ich sage dir, Gisèle: So etwas von Puffpsychologie findest du nie wieder.«
    Er unterbrach sich, trank einen Picon noir und schnaubte durch die Nase. Seine Freunde hingen trübsinnig in den Stühlen. Sie waren übernächtigt und ausgehöhlt von Madame Blichets fleißigen Mädchen.
    »Die Lage ist nun allgemein beschissen!« fuhr Fioret fort. »Wir bekamen bei allem Kratzen in unseren Taschen nur 370 Francs zusammen. Und was macht die Rechnung? 1.550 Francs! Die haben gearbeitet wie in der Fabrik, mit Stechuhren. Jeder neue Anlauf eine neue
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