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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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unmittelbarer Nähe standen all jene Gerichtsgebäude, in denen ich jahrzehntelang ein und aus gegangen war. Ich war unendlich erleichtert, wieder in Deutschland zu sein. Und ich hatte gute Aussichten, noch an diesem Abend zu Hause in meinem eigenen Bett zu schlafen. Zwar musste ich im Untersuchungsgefängnis noch ein paar Stunden auf meinen Gerichtstermin warten, aber ich wusste, dass Tilmann Brüninghaus, der zuständige Richter der Strafvollstreckungskammer, vorhatte und darauf vorbereitet war, mich sofort in die Freiheit zu entlassen.
    Was sich in den letzten Tagen hinter den Kulissen der Großen Strafkammer 5 abgespielt hatte, wusste ich allerdings nicht: Die Staatsanwältin Dr.   Renate Just hatte meiner Entlassung widersprochen. Ihre Begründung? Die Schwere meiner Tat erfordere es, dass ich zunächst psychiatrisch begutachtet würde. Es müsse eine Prognose darüber abgegeben werden, ob die Gefahr weiterer Straftaten von mir ausginge.
    Tilmann Brüninghaus hatte die Staatsanwältin daraufhin gebeten, zum Termin zu erscheinen, um sich einen persönlichen Eindruck von mir zu verschaffen. Das hatte diese aber mit allen möglichen Begründungen abgelehnt. Am Ende behauptete sie sogar, sie sei verhindert, weil sie zum selben Zeitpunkt in einer anderen Strafsache benötigt würde. Brüninghaus schickte einen seiner Mitarbeiter los, um das zu kontrollieren. Das Ergebnis: Fehlanzeige. Frau Dr.   Just hatte keinen anderen Termin.
    So stand ich nun, begleitet von meinen Anwälten, einem Richter gegenüber, der mich freilassen wollte, aber nicht freilassen konnte. «Wenn ich Ihre Entlassung anordne, Herr Berkau», erklärte mir Brüninghaus, «wird die Staatsanwaltschaft dagegen Beschwerde einlegen. Und bis darüber vom Oberlandesgericht entschieden ist, können Wochen vergehen. Ich schlage deshalb vor, Sie gehen jetzt in eine Zelle in der Untersuchungshaftanstalt. Und ich kümmere mich darum, dass Sie so schnell wie möglich begutachtet werden. Vielleicht gibt sich die Staatsanwaltschaft ja mit einem mündlichen Gutachten zufrieden.» Er schwieg einen Moment und sah mich vorsichtig lächelnd an: «Sie sind ja hafterfahren.»
    Natürlich war ich sauer und frustriert, aber ich fiel nicht aus allen Wolken. Ich wusste ja, dass Entscheidungen der Justiz nie zu hundert Prozent vorhersehbar sind, und war darauf eingestellt. Der Aufenthalt in dem finsteren und völlig überalterten Bau des Hamburger Untersuchungsgefängnisses war trotzdem eine Zumutung, auch nach all meinen Erfahrungen in den USA. Wieder einmal wurde ich für 23 Stunden pro Tag in einer Einzelzelle eingeschlossen. Den Dreck, den ich dort vorfand, durfte ich nicht einmal selbst beseitigen – man gab mir, obwohl ich ausdrücklich darum bat, keine Putzgeräte. Ich bekam auch keine Zahnpasta und kein Shampoo und konnte in drei Tagen nur ein einziges Mal duschen. Einige der Schließer schienen mit ihrem Job völlig überfordert.
    Wie ich in den Augen der Staatsanwaltschaft zum gefährlichen Straftäter hatte werden können, obwohl ich wegen eines Deliktes verurteilt war, das es im deutschen Recht überhaupt nicht gibt, begann ich erst allmählich zu verstehen. Das erste Glied in der Kette war ein Vorgang, der mir schon 2006, kurz nach meiner Verurteilung, Sorgen gemacht hatte: Für eine Überstellung im Treaty-transfer- Verfahrenwar es nämlich notwendig, dass meine Verurteilung nach deutschem Recht anerkannt wurde. Das war nur dann möglich, wenn ich eine Tat begangen hatte, die auch in Deutschland strafbar war. Paragraphentreue Juristen hätten also auf die Idee kommen können, meine Überstellung abzulehnen – und ich hätte meine gesamte Strafe in den USA absitzen müssen.
    Diese Klippe hatte das Landgericht Hamburg mit einem Beschluss vom September 2007 umschifft. Die conspiracy to commit extortion wurde darin einfach zu einer «Verabredung zur Begehung einer Erpressung» umgedeutet. Um diese Interpretation zu untermauern, hatte sich das Landgericht einen «Tatbestand» von der Hamburger Staatsanwaltschaft formulieren lassen, den diese wiederum aus dem FBI-Bericht zusammengeklaubt hatte. Juristisch gesehen war das zwar haarsträubend, aber so weit noch in meinem Interesse: Ich wollte ja nach Deutschland. In seiner Begründung ging der Richter, vermutlich einfach aus Unachtsamkeit, noch einen Schritt weiter und führte neben dem §   253 Strafgesetzbuch (Erpressung) auch den §   255 (räuberische Erpressung) auf. Wer nach §   255 verurteilt ist, hat
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