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Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)

Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)

Titel: Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Tahereh H. Mafi
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gegeneinander, weil wir unser Ökosystem misshandelt hatten. Die Atmosphäre misshandelt hatten. Die Tiere und unsere Mitmenschen.
    Das Reestablishment verhieß Besserung. Die Gesundheitslage der Bevölkerung hat sich etwas verbessert unter dem neuen Regime, aber dafür sind mehr Menschen durch Waffengewalt zu Tode gekommen als zuvor durch Hunger. Und es wird immer schlimmer.
    »Juliette?«
    Mein Kopf fährt hoch.
    Er betrachtet mich aufmerksam, besorgt, prüfend.
    Ich wende den Blick ab.
    Er räuspert sich. »Es gibt also nur einmal am Tag Essen?«
    Wir schauen unwillkürlich auf den schmalen Spalt in der Tür.
    Ich ziehe die Knie an die Brust. Wenn ich ganz still sitze, spüre ich kaum, dass sich die Metallfedern in meine Haut bohren. »Es gibt keine Regeln fürs Essen«, antworte ich. Mein Finger zeichnet ein Muster auf der groben Decke. »Meistens bekommt man morgens was, aber danach weiß man nie. Manchmal haben wir … Glück.« Meine Augen huschen zu der kleinen Glasscheibe in der Wand. Rotes und rosafarbenes Licht sickert herein, und ich weiß, dass etwas Neues beginnt. Der Beginn desselben Endes. Ein neuer Tag.
    Vielleicht werde ich heute sterben .
    Vielleicht wird heute ein Vogel fliegen.
    »Das ist alles? Die machen einmal am Tag die Tür auf, damit man sein Geschäft erledigen kann, und wenn man Glück hat, kriegt man was zu essen? Das ist alles?«
    Der Vogel wird weiß sein und goldene Federn auf dem Kopf haben wie eine Krone. Er wird fliegen. »Ja.«
    »Es gibt keine … Gruppentherapie?« Er lacht beinahe.
    »Als du hier reinkamst, hatte ich seit 264 Tagen mit niemandem geredet.«
    Sein Schweigen spricht Bände. Ich kann die Last der Schuld auf seinen Schultern fast mit Händen greifen. »Wie lange musst du drinbleiben?«, fragt er nach einer Weile.
    Für immer . »Ich weiß es nicht.« Etwas Mechanisches knarrt/ächzt/knirscht in der Ferne. Mein Leben besteht aus versäumten Chancen, erstarrt zu vier Wänden.
    »Was ist mit deinen Eltern?« Seine Stimme klingt so ernst und traurig, als kenne er die Antwort bereits.
    Ich habe nicht die geringste Ahnung. »Warum bist du hier?« Ich spreche zu meinen Fingern, um seinem Blick auszuweichen. Meine Hände kenne ich so gut, dass ich genau weiß, an welchen Stellen Verletzungen meine Haut beschädigt haben. Kleine Hände. Schmale Finger. Ich balle sie zur Faust und öffne sie wieder, um die Spannung abzubauen. Er hat noch nicht geantwortet.
    Ich schaue auf.
    »Ich bin nicht verrückt«, sagt er nur.
    »Das behaupten wir alle.« Ich schüttle leicht den Kopf. Beiße mir auf die Lippe. Mein Blick huscht zum Fenster.
    »Warum schaust du ständig raus?«
    Ich habe nichts gegen seine Fragen. Es ist nur seltsam, jemanden zum Reden zu haben, Kraft aufbringen zu müssen, damit ich meine Lippen bewegen kann, um mich zu erklären. Niemanden hat das interessiert. Niemand hat mich lange genug beobachtet, um sich zu fragen, warum ich aus dem Fenster starre. Niemand hat mich jemals wie einen gleichwertigen Menschen behandelt. Aber Adam weiß ja nicht, dass ich ein Monster bin ein Geheimnis habe. Ich frage mich, wann er wohl versuchen wird, um sein Leben zu rennen.
    Ich habe vergessen zu antworten, und er schaut mich abwartend an.
    Ich streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr und überlege es mir anders. »Warum starrst du mich immer an?«
    Seine Augen sind zwei Mikroskope, und sie untersuchen die Zellen meines Daseins. Sorgfältig und aufmerksam. »Ich dachte, die hätten mich zu einem Mädchen gesperrt, weil du verrückt bist. Ich dachte, die versuchen mich zu foltern, indem sie mich mit einer Irren einsperren. Ich dachte, du seist meine Bestrafung.«
    »Deshalb hast du mir mein Bett gestohlen.« Um Macht zu demonstrieren. Um das Revier zu markieren. Um anzugreifen.
    Er senkt den Blick. Faltet die Hände, löst sie wieder, reibt sich den Nacken. »Warum hast du mir geholfen? Woher hast du gewusst, dass ich dir nichts antun würde?«
    Ich zähle meine Finger, um zu wissen, dass sie noch vollzählig sind. »Hab ich nicht.«
    »Was hast du nicht?«
    »Adam.« Meine Lippen umfassen seinen Namen. Ich bin erstaunt, wie gut sich dieser Klang anfühlt.
    Adam sitzt fast so reglos da wie ich. In seinen Augen erscheint ein neues Gefühl, das ich nicht deuten kann. »Ja?«
    »Wie ist es?«, frage ich, immer leiser werdend. »Draußen. In der realen Welt . Ist es schlimmer geworden?«
    Schmerz verwüstet sein fein geschnittenes Gesicht. Es dauert ein paar Herzschläge, bis er
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