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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
Autoren: S. J. Watson
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und alles wäre wieder so, wie es mal war? Du bist verrückt, Mike. Verrückt. Ich gehe jetzt, gehe zurück zu meinem Mann und meinem Sohn.«
    An mehr will ich mich nicht erinnern. Ich glaube, in dem Moment muss er mich das erste Mal geschlagen haben, aber ich weiß nicht, was danach passierte, wie ich von dort ins Krankenhaus gekommen bin. Und jetzt bin ich wieder hier, in diesem Zimmer. Wir sind wieder da, wo alles angefangen hat, obwohl mir sämtliche Tage dazwischen gestohlen wurden. Es ist, als wäre ich nie fort gewesen.
    Ich kann die Tür nicht erreichen. Er zieht sich hoch. Ich schreie los: »Hilfe! Hilfe!«
    »Sei still!«, sagt er. »Halt die Klappe!«
    Ich schreie lauter, und er reißt mich herum, stößt mich gleichzeitig nach hinten. Ich falle, und die Zimmerdecke und sein Gesicht gleiten vor mir weg. Mit dem Schädel schlage ich auf etwas Hartes und Unnachgiebiges auf. Ich begreife, dass er mich ins Bad gestoßen hat. Ich wende den Kopf und sehe den gefliesten Boden, der sich vor mir ausstreckt, die Unterseite der Toilette, den Wannenrand. Auf dem Boden liegt ein Stück Seife, klebrig und zerdrückt. »Mike!«, sage ich. »Nicht …«, doch er kauert schon über mir, die Hände um meinen Hals.
    »Halt die Klappe!«, sagt er, wieder und wieder, obwohl ich jetzt kein Wort mehr sage, bloß noch weine. Ich schnappe nach Luft, meine Augen und mein Mund sind nass, von Blut und Tränen und ich weiß nicht, wovon sonst noch.
    »Mike –«, röchele ich. Ich kriege keine Luft. Seine Hände sind um meinen Hals, und ich kriege keine Luft. Wieder rauscht die Erinnerung heran. Ich kann mich daran erinnern, wie er mir den Kopf unter Wasser drückt. Ich erinnere mich daran, wie ich aufwache, in einem weißen Bett, bekleidet mit einem Krankenhaushemd, und neben mir sitzt Ben, der echte Ben, der, den ich geheiratet habe. Ich erinnere mich daran, wie eine Polizistin mir Fragen stellt, die ich nicht beantworten kann. Ein Mann in einem hellblauen Schlafanzug sitzt auf der Kante meines Krankenhausbetts und lacht mit mir, während er mir erzählt, dass ich ihn jeden Tag so begrüße, als hätte ich ihn noch nie gesehen. Ein kleiner Junge mit blondem Haar und einer Zahnlücke nennt mich Mummy. Die Bilder kommen eins nach dem anderen. Sie strömen durch mich hindurch. Mit brutaler Wirkung. Ich schüttele den Kopf, versuche, ihn klarzubekommen, doch Mike packt mich fester. Sein Kopf ist jetzt über meinem, seine Augen wild und starr, während er mir die Kehle zudrückt, und ich kann mich daran erinnern, das schon einmal erlebt zu haben, in diesem Raum. Ich schließe die Augen. »Wie kannst du es wagen?«, sagt er, und ich weiß nicht, welcher Mike da spricht; der, der jetzt hier ist, oder der, der nur in meiner Erinnerung existiert. »Wie kannst du es wagen?«, sagt er wieder. »Wie kannst du es wagen, mir mein Kind wegzunehmen?«
    Und da erinnere ich mich. Als er mich damals angriff, war ich schwanger. Nicht von Mike, sondern von Ben. Das Kind sollte unser Neuanfang sein.
    Es hat genauso wenig überlebt wie ich.
    ***
    Ich muss bewusstlos geworden sein. Als ich wieder zu mir komme, sitze ich in einem Sessel. Ich kann die Hände nicht bewegen, habe einen pelzigen Geschmack im Mund. Ich schlage die Augen auf. Das Zimmer ist dämmrig, nur erhellt vom Mondlicht, das durch die offenen Vorhänge strömt, und vom Widerschein der Straßenlampen. Mike sitzt mir gegenüber auf der Bettkante. Er hat etwas in der Hand.
    Ich versuche, zu sprechen, kann es aber nicht. Ich merke, dass etwas Zusammengeknülltes in meinem Mund steckt. Eine Socke vielleicht. Sie wird irgendwie an Ort und Stelle gehalten, festgebunden, und ich merke, dass meine Hände ebenso gefesselt sind wie meine Füße.
    So hat er mich die ganze Zeit haben wollen, denke ich. Stumm und reglos. Ich winde mich, und er erkennt, dass ich aufgewacht bin. Er blickt auf, sein Gesicht eine Maske aus Schmerz und Traurigkeit, und starrt mir in die Augen. Ich empfinde nichts als Hass.
    »Du bist wach.« Ich frage mich, ob er noch etwas sagen will, ob er fähig ist, noch etwas zu sagen. »So hab ich das nicht gewollt. Ich dachte, wir kommen her und du erinnerst dich vielleicht wieder. Erinnerst dich, wie es mal zwischen uns war. Und dann könnten wir reden, und ich könnte dir erklären, was damals hier passiert ist. Ich hab das wirklich nicht gewollt, Chris. Aber manchmal werde ich so furchtbar wütend. Ich kann nichts dagegen machen. Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht weh tun,
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