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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller
Autoren: Dan Wells
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konnte. Ich starrte Kay an, sprach eine stumme Entschuldigung und überließ dem Monster die Regie. Meine Hände öffneten den Kissenbezug und schoben ihn der Frau über den Kopf.
    Sie regte sich und schreckte auf, doch sie war alt und kam nur langsam zu sich. Ich hatte reichlich Zeit, den Stoff fest bis auf ihre Schultern zu ziehen. Im Halbschlaf grunzte sie irgendetwas und schlug mit einem Arm um sich. Es war ein schwacher Schlag. Ich riss den Radiowecker zu mir herüber, zog dabei den Stecker heraus und knallte ihn ihr seitlich vor den Kopf. Sie stieß einen erstickten Schrei aus, der mit einem leisen Stöhnen endete, drehte sich mir entgegen und rollte aus dem Bett hinaus. Ich schlug sie noch einmal, das schwere Radio prallte brutal gegen den Kopfkissenbezug, und als sie sich weiter wehrte, schlug ich noch ein drittes Mal zu. Eigentlich hatte ich sie überhaupt nicht schlagen wollen, doch ihr schwacher Widerstand hatte ausgereicht, hatte mich erschreckt und mich gezwungen, etwas zu unternehmen. Ich wollte sie bewusstlos schlagen, was in Filmen immer so einfach aussieht. Ein rascher Hieb, und es ist erledigt. Dies aber, ihr den Radiowecker immer und immer wieder gegen den Kopf zu hauen, zog sich in die Länge und war grausam. Endlich lag sie ruhig da, Arme und Beine grotesk auf dem Boden ausgebreitet, und ich stand keuchend über ihr.
    Ich beugte mich über sie, um sie zu töten, ich gierte nach dem Krachen brechender Knochen und der urtümlichen Lust, ein Opfer völlig meinem Willen zu unterwerfen. In letzter Sekunde hielt ich mich an der Bettkante fest, richtete mich auf und wandte mich mühsam ab.
    Sie gehört mir!
    Nein. Unter meiner Skimaske konnte ich so schlecht atmen wie Kay unter dem Kopfkissenbezug. Ich riss die Maske herunter und atmete krampfhaft ein, kämpfte um meine Beherrschung. Dann beugte ich mich wieder über Kay und musste mich abermals losreißen. Ich taumelte und lehnte mich an die Wand. Es kam mir vor, als spielte ich eines von Max’ Videospielen. Als hantierte ich an ungewohnten Kontrollen herum und sähe meine Figur auf dem Bildschirm hilflos im Kreis umherlaufen. Das Monster brüllte wieder, und ich versetzte mir selbst einen Schlag vor die Schläfe und kostete den scharfen Schmerz und das dumpfe Dröhnen im Kopf aus. Dann legte sich ein Schleier vor meine Augen, und ich sank schwer atmend auf die Knie. Ich sehnte mich danach, weiter anzugreifen, und das Monster lachte. Ich konnte nicht aufhören und hob den Radiowecker.
    Mitten in der Luft hielt meine Hand inne. Ich dachte an Dr. Neblin. Er konnte es mir ausreden. Ich konnte kaum noch klar denken, aber wenn ich jetzt sofort mit ihm redete, konnte ich Kays und mein Leben retten. Über die Konsequenzen dachte ich nicht nach, auch nicht über die Beweise, die ich zurückließ. Ich dachte nicht an das Geständnis, das ich gleich ablegen würde. Ich sank einfach auf den Boden, holte die Visitenkarte heraus, die Neblin mir gegeben hatte, und wählte seine Privatnummer.
    Es klingelte sechsmal, bis er abhob. »Hallo?« Seine Stimme klang müde und heiser. Wahrscheinlich hatte ich ihn geweckt. »Wer ist da?«
    »Ich kann nicht aufhören.«
    Dr. Neblin schwieg einen Moment lang. »Nicht aufhören … John? Bist du’s?« Jetzt war er hellwach, als wäre in seinem Kopf ein Schalter umgelegt worden, sobald er mich erkannte.
    »Es ist heraus«, sagte ich leise. »Ich kann es nicht mehr zurückdrängen. Wir werden alle sterben.«
    »John? John, wo bist du? Beruhige dich erst einmal und sag mir, wo du bist.«
    »Ich stehe am Rand des Abgrunds, Dr. Neblin, an der Kante. Nein, ich bin schon darüber hinaus und stürze auf der anderen Seite in die Hölle.«
    »Beruhige dich!«, beschwor er mich. »Wir schaffen das. Sag mir, wo du bist.«
    »Ich bin in den Rissen auf dem Gehweg«, sagte ich. »Im Dreck und im Blut und bei den Ameisen, die mich ansehen, und wir verdammen euch alle. Ich bin im Abgrund und komme nicht heraus.«
    »Blut? Sag mir, was du gerade tust, John. Hast du etwas Falsches getan?«
    »Das war nicht ich«, erwiderte ich und wusste doch, dass ich log. »Das war nicht ich, es war das Monster. Ich wollte es nicht herauslassen. Ich habe versucht, einen Dämon zu töten, und dabei einen neuen erschaffen. Ich kann nicht mehr aufhören.«
    »Hör mir zu, John«, sagte Dr. Neblin ernster und schärfer, als er je mit mir gesprochen hatte. »Hör mir zu. Hörst du zu?«
    Ich schloss die Augen und knirschte mit den Zähnen.
    »Hier ist nicht mehr
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