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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
Autoren: Rajesh Parameswaran
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doch genau wie im Zoo schien der Geruch von Menschen in der Luft zu liegen; er drang aus einiger Entfernung an meine Nase und erinnerte mich an mein behagliches Zuhause. Ich lehnte mich gegen die gläsernen Türen des Gebäudes, bis ich eine fand, die nachgab, und setzte vorsichtig eine Pfote hinein.
    Im Haus war es schattig und still, und über weiche, pelzige Böden gelangte ich schließlich in eine Art Höhle, dunkel, ruhig und kühl, wo ich zum ersten Mal so tief einschlief, dass ich mich vergaß, wenigstens für kurze Zeit.
    Gut erholt wachte ich auf und war fest entschlossen, meine Suche nach Hilfe für Kitch fortzusetzen. Aber als ich die Augen aufschlug, war der Raum nicht mehr dunkel wie zuvor, sondern hell erleuchtet. An den Wänden hingen Bilder von rotnasigen Clowns mit kunterbunten Ballons, wie ich sie einmal im Zoo gesehen hatte. An einer Seite des Zimmers stand ein kleiner Käfig auf Stelzen, der oben offen war, und daraus drang das seltsam beruhigende Gurren eines Menschenjungen – auch so ein Geräusch, das ich von zu Hause gut kannte.
    Aber bevor mir irgendetwas von all dem auffiel, sah ich natürlich die Frau auf der anderen Seite des Raumes. Eine ausgewachsene Menschenfrau, mit lockigem braunen Haar und rosaroter Haut, so rosa wie die von Kitch. Den Rücken zur Wand, pirschte sie sich in kleinen Seitwärtsschritten an den Käfig des Jungen heran.
    Ich hob den Kopf von den Pfoten, meine Nase bebte vor Aufregung, meine Ohren waren gespitzt und das Fell auf meinem Rücken stand aufrecht. Als die Frau sah, dass ich aufgewacht war, erstarrte sie und atmete erschrocken ein. Sie hatte die Arme hinter sich ausgestreckt, die Hände mit gespreizten Fingern an der Wand. Offenbar zwang sie sich, den nächsten Atemzug zu machen, zitternd und extrem vorsichtig. Schließlich löste sie sich von der Wand und näherte sich ganz langsam dem Käfig.
    Als Katze hat man einen Instinkt für solche Situationen, und dieser sagte mir schnell: Diese Frau war die Mutter des weinenden Menschenjungen. Normalerweise hätte ich sie nur dann als Gefahr für mich betrachtet, wenn sie versuchen würde, ihr Junges zu beschützen, aber meine jüngsten Erfahrungen hatten mir gezeigt, dass Menschen unberechenbar waren und ich mich auf jeden Fall in Acht nehmen sollte.
    Ich erhob mich und ging langsam in die entgegengesetzte Richtung – weg vom Käfig des Jungen –, die Frau schlich vorsichtig auf ihr Junges zu, und so zirkelten wir argwöhnisch durch den Raum.
    Das Menschenjunge murrte unvorstellbar sanft und unschuldig, und ich wollte eigentlich nur, dass diese Mutter es nimmt und sich darum kümmert. Wie die meisten Zookatzen betrachtete ich mich als Waise. Wo ich herkam, wer meine Mutter war – daran habe ich keine Erinnerung. Aber als ich mit dieser vorsichtigen Menschenmutter jenes seltsame Schrittduett vollführte, blitzte tief in meinem Inneren die Erinnerung an eine ältere Tigerin auf, etwas warmes, orangefarbenes Weiches, eine sanfte und kräftige Umarmung. Meine Beine begannen zu zittern, und dann folgte ein weiterer Erinnerungsfetzen: ein heftiger Schlag ins Gesicht, wie der von Kitch zuvor, eine Hetzjagd durchs Gestrüpp und aufgeregte Stimmen.
    Ich wurde ganz benommen von diesen fremden Gefühlen. Die Menschenmutter muss meine Unsicherheit gespürt haben. Sie nutzte die Gelegenheit und huschte zum Käfig ihres eigenen Jungen, und mit furchtbar zitternden Armen nahm sie das glucksende Ding heraus.
    Ihre plötzliche Bewegung brachte mich wieder zur Besinnung. Schnell drehte ich den Kopf, um sie im Blick zu behalten, und als sie das sah, stieß sie einen gellenden Schrei aus und ließ in ihrer Panik ihr Junges fallen.
    Was als Nächstes geschah, ging so schnell, dass ich es kaum beschreiben kann. Ich sah das fleischige Etwas auf den Boden fallen und stürzte mich instinktiv darauf.
    Der winzige Mensch baumelte jetzt kopfüber und weinend an meinem Maul; ich hielt ihn nur an dem zerknitterten Stück Stoff, das er um den Po trug.
    Die Mutter stand ein paar Schritte von mir entfernt und schrie noch unkontrollierter als ihr Junges, mit feuerroten Wangen. Ich hatte noch nie zuvor einen Menschen in solcher Aufregung gesehen; ich hatte keine Ahnung, wie sie sich jetzt verhalten würde.
    Ich wollte auf sie zugehen, ihr ihren Nachwuchs zurückgeben, aber kaum dass ich die Pfote zum ersten Schritt gehoben hatte, zitterte und schrie die Menschenfrau noch beängstigender als zuvor, und ich ging wieder ein Stück zurück.
    Jetzt
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