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Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Titel: Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Autoren: Anke Willers
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Tischsittenbeauftragte«, sagte Jette. Später erklärte mir die Erzieherin zwar, es hieße eigentlich »Tischsicherheitsbeauftragte« – ich war aber trotzdem beeindruckt. »Morgen«, sagte Jette, »bring ich Servietten mit. Und übermorgen Tischkarten.« »Und überübermorgen«, sagte ich mit Blick auf Clara, die gerade die Wurst mit der Hand vom Teller pickte, »wechselst du bitte den Arbeitgeber. Hier zu Hause ist nämlich noch eine Stelle frei.«
    Doch der Tisibe lehnte dankend ab. Denn zu Hause ist es längst nicht so Status fördernd, wenn man sich
bei Tisch ordentlich benimmt. Außerdem würde man bei der Arbeit mit einem sittenwidrigen Fund konfrontiert:

Pausenbrote, die morgens gemacht werden – und abends immer noch da sind
    Schulbrote sind ein eindeutiger Liebesbeweis, finde ich. Wer um zwanzig vor sieben, wenn die Küche kalt und der eigene Magen noch im Tiefschlaf ist, Schwarzbrote mit Butter bestreicht, mittelalten Gouda in klappbrotkompatible Stücke schneidet und auch das Gürkchen nicht vergisst, muss seine Kinder einfach lieben. Jochen und ich haben in den vergangenen sechs Jahren geschätzte 2000 solcher Brote gemacht. Und als Clara neulich in der zweiten Stunde ihr Schulbrot vorzeigen musste (doch!), wurde es mit dreimal A gerated: ausgewogen, ansehnlich, aber Hallo!
    Trotzdem: Unsere Kinder verstehen diese Botschaft nicht. Regelmäßig bringen sie die Brote wieder mit: Der Käse rieche zu viel. Das Brot knuspere zu wenig und sie hätten keinen Hunger gehabt. Stimmt mit unserer Liebe was nicht?, frage ich mich dann manchmal. Wenn ich aber jetzt in Ruhe darüber nachdenke, komme ich zu einem anderen Schluss: Größer als meine Liebe ist die Liebe meiner Kinder – und zwar zum Kiosk auf dem Schulweg. Verdächtige Verpackungsmaterialien in den Tiefen ihrer Ranzen deuten darauf hin, dass sie dort
häufiger haltmachen als mir lieb ist. Vielleicht sollte ich meinen Kindern das Taschengeld entziehen, damit sie ihr Schulbrot und ihre Eltern wieder ehren. Und nicht Matschbrötchen, Gummiteufeln und Brausewürfeln den Vorzug geben. Taschengeld-Experten würden dann aber wohl aufheulen: Sie sagen ja immer, Taschengeld sei dazu da, dass Kinder darüber frei verfügen können.
    Das bringt mich zum nächsten Fund:

Heftchen, in denen Models ganztags vor sich hin magern
    Katie Holmes wiegt 49 Kilo und findet ihre Beine zu dick. Victoria Beckham isst nach der Geburt von Harper Seven fünfmal am Tag eine Handvoll Nichts. Und Cameron Diaz macht Sport bis zum Abwinken für ihren Waschbrettbrauch. Wussten Sie nicht? Ich auch nicht! Bis ich bei Clara kleine bunte Hefte fand, die sie sich offenbar vom Taschengeld gekauft hat und in denen das steht.
    Darf man als Mutter einer bald Zwölfjährigen, die weiß, dass Katie Holmes 49 Kilo wiegt und sich zu dick findet, noch irgendwelche Bemerkungen übers Essen machen? Darf man sagen, dass Eistee lauter leere Kalorien hat? Und Gummiteufel vom Kiosk sowieso? Darf man als Mutter seinen eigenen Po zu dick finden und die Waage einfach so im Bad rumstehen lassen? Wohl
nicht! Und sollte ich irgendwann mal ein paar Kilos abnehmen wollen, müsste ich das heimlich machen: Dann werde ich nicht heimlich essen, sondern heimlich nicht essen.
    Noch größer ist meine Befangenheit geworden, seit ich kürzlich ein Infoblatt der Schule (es handelt sich um eine Mädchenschule) bekam: Es würden, schrieb die Schulleitung, an der Schule immer mehr Fälle von Essstörungen auftreten; Magersucht, Bulimie, Binge-Eating, solche Sachen. Man lade deshalb zu einer Infoveranstaltung.
    Ich ging hin und als ich wiederkam, wusste ich eines genau: Essstörungen sind die Pest! Und sie haben viele komplexe Ursachen – mangelndes Selbstbewusstsein, falsche Vorbilder, zu viel Kontrollbedürfnis, übertriebenes Leistungsdenken…. Einer aber ist eindeutig nicht Schuld: der Sonntagsbraten! Im Gegenteil: In Zeiten, als der Sonntagsbraten noch nicht von Fast Food, Low Fat und Size Zero bedroht wurde, gab es eindeutig weniger Essstörungen. Wahrscheinlich hat der Sonntagsbraten sogar vorbeugende Wirkung. Zumindest fangen Teenager beim Essen umso seltener an zu spinnen, je regelmäßiger die Familie zusammen isst. Das ist sogar wissenschaftlich und langzeitstudlich belegt.
    Mein Vorsatz fürs nächste Jahr ist deshalb: Wir werden am Wochenende jetzt wieder mehr kochen. Nein, nicht was Schnelles. Sondern was Schönes. Der zuständige Tisibe wird (hoffentlich) den Tisch hübsch decken. Und sollte der
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