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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin
Autoren: Anne Butterfield
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Hans-Peter Kerkeling anfreundete.
    Unser nächster Halt ist Sheffield, wo ein verkrampfter Radfahrer in der allgegenwärtigen gelben Jacke sich im Buswartehäuschen vor dem Regen versteckt hat. Er wirkt verschreckt, als er mit seinen sechs Taschen in den Bus steigt – mehr Zeug, als eine typische Familie in Bhutan überhaupt besitzt. Nachdem er neben mir Platz genommen hat, gesteht er, dass er sein kanadisches Fahrrad eben erst im Internet erstanden hat und ersich kaum vorstellen kann, was ihm bevorsteht. Sein Entschluss, sich künftig mit Radfahren fit zu halten, sei noch sehr frisch. Wir erkennen einander als Nicht-Radfahrer, entspannen uns und gestehen uns gegenseitig unser Entsetzen darüber, wie viel Organisation und Ausrüstung für so eine Fahrradreise vonnöten ist. Ich ziehe meine Satteltasche vom Boden hoch, wobei ich mir fast einen Bizepsriss hole, und fördere das Multi-Tool zutage.
    »Weißt du, was das ist?«, frage ich Steve.
    »Äh, vielleicht zum Reparieren eines kaputten Kettenglieds?«, schlägt er vorsichtig vor.
    »Ja. Das hat man mir im Laden gesagt. Aber wie es funktioniert, weiß ich nicht, du vielleicht?«
    »Ungefähr. Nicht so richtig.«
    Wir sehen einander ins Gesicht und brechen in schallendes Gelächter aus.
    »Ach, Steve, was soll bloß aus uns werden?«, stöhne ich.
    »Weiß Gott, das müssen wir einfach unterwegs herausfinden«, gibt er zurück.
    Nachdem wir uns auf diese Weise Mut gemacht haben, fühlen wir uns besser und plaudern noch lange, bis wir um Mitternacht irgendwo in der Nähe von Paris in den Schlaf sinken.
    Aber vorher, in Leicester, liest der Doppeldeckerbus noch weitere Fahrradfreaks auf. Darunter auch eine Frau, die beim Einsteigen schreit: »Bloß nichts auf meine Hose, das ist meine einzige!«
    Blut rinnt hinter ihrem rechten Ohr herunter, läuft ihr den Nacken entlang und landet auf dem Boden. Als sie einsteigen wollte, war vom Anhänger eine Leiter gefallen und hatte sie am Hinterkopf getroffen. Mike, der eine Reihe vor mir sitzt, ist Arzt. Er springt auf, wischt das Blut mit einem Taschentuch ab und versichert ihr, die Wunde sei nicht so dramatisch, wie sie aussieht. Steves Kopf hat sich zu meiner Seite geneigt und sein Gesicht eine graugrüne Farbe angenommen. Mit glasigem Blick gleitet er von seinem Sitz.
    »Mike, Mike!«, rufe ich den Arzt, der gerade die blutende Frau in die obere Etage des Busses begleitet. »Steve wird ohnmächtig!«
    Mike springt die Treppe wieder herunter und zieht Steve vorsichtig in den Gang. Dort soll Steve, so ordnet er an, liegen bleiben, bis er sich ein wenig erholt hat, und Gary, der für die heruntergefallene Leiter verantwortlich ist, muss über ihn hinwegsteigen, um für die Verletzte, Steve und den Arzt Tee zu machen. Gary stolpert nicht, also nimmt das kleine Drama nun wohl eine glücklichere Wendung. Wir sind doch erst in Leicester! Das wird bestimmt ein ereignisreicher Camino, schließe ich daraus.
    Die weitere Reise verläuft ohne Zwischenfälle. Die weißen Klippen von Dover stürzen nicht ins Meer, unsere Fähre sinkt nicht auf dem Weg über den Ärmelkanal, und in Frankreich gibt es zumindest heute keinen Streik gegen die Sparmaßnahmen, mit denen Europa überzogen wird. Allerdings schürt Steve meine Ausrüstungsängste, als wir nebeneinander auf dem sonnenbeschienenen Deck sitzen und er meine Schuhe entdeckt.
    »Was sind denn das für Latschen?«, erkundigt er sich und blickt dabei auf meine Füße. Ich wünschte, er würde unserer berühmten Küste mit den Kalkfelsen mehr Aufmerksamkeit widmen.
    »Was soll das heißen, ›Latschen‹? Schuhe eben.«
    »Aber was für welche?«, beharrt er.
    »Doc Martens.«
    »In denen willst du ja wohl nicht Rad fahren, oder?«
    »Wieso nicht? Es sind meine bequemsten Schuhe. Sie haben sich schon in Holland beim Radeln bewährt.«
    »Wie sollen deine Füße da drin atmen? Da kriegst du ja die Fußfäule«, behauptet er hartnäckig.
    Inzwischen geht Steve mir auf die Nerven. Ich atme ja schließlich mit meinen Lungen und nicht mit den Füßen.
    Mit einem missbilligenden Blick verschwindet Steve ins Restaurant und lässt mich in einem Zustand der Ausrüstungsneurose vor mich hin brüten. Ich gehe in Gedanken neun Jahre zurück und versuche das Bild eines Fahrradladens in Saint-Jean-Pied-de-Port heraufzubeschwören, wo ich ein Paar wasserdichte, atmungsaktive Fahrradschuhe in Blau und Gold (denFarben meiner bevorzugten Fußballmannschaft Leeds United) erstehen kann. Fast sehe ich sie
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